Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)
deutschen Angriff geschützt waren. Ende der 1930er Jahre stand Wirtschaftsplanung auch bei vielen nichtkommunistischen Linken im Westen hoch im Kurs. Umstritten war, ob die Qualität des sowjetischen Produktionsoutputs mit den quantitativen Indikatoren Schritt hielt; der landwirtschaftliche Sektor machte mit Sicherheit keine Fortschritte, er blieb ein hochgradig unproduktiver und vermutlich feindseliger, wenn auch stillgestellter Sektor des Landes. Der Lebensstandard war weit niedriger als in Mitteleuropa.
Überdies jedoch beschwor das Regime heftigen Aufruhr unter den eigenen Gefolgsleuten herauf – nämlich durch die Säuberung der großen KP (mit mehreren Millionen Mitgliedern), bei der Tausende von Funktionsträgern ihre Posten verloren, Zehn- oder gar Hunderttausende unter fürchterlichen Bedingungen im Lager ihr Leben fristeten und das Ganze in Schauprozessen gipfelte, in denen Stalins alte Genossen und gut die Hälfte seines Generalstabs zu entwürdigenden und absurden Geständnissen gezwungen und dann zum Tode oder zu langjähriger Zwangsarbeit verurteilt wurden. Und doch konnten dieses Regime und sein Diktator, die Hitlers Ansichten 1941 so falsch interpretiert hatten, ein unfassbares Maß an nationaler Loyalität – wenn schon nicht gegenüber dem Kommunismus, so zumindest gegenüber Russland – mobilisieren, mit dem das Land dem massiven deutschen Angriff widerstand und riesige Gebietsverluste verkraftete, ungeheure Opfer unter Soldaten und Zivilisten erbrachte und schließlich den deutschen Militärapparat besiegte. Ohne die sowjetischen Kriegsanstrengungen hätten die Nationalsozialisten den europäischen Kontinent mit einiger Wahrscheinlichkeit weitaus länger beherrscht, als das tatsächlich der Fall war. Die Briten und die USA hätten nach 1945 vermutlich Atombomben gegen Deutschland einsetzen müssen, wollten sie nicht für Jahrzehnte ausländische Gegenspieler bleiben, und die Demokratie wäre wohl noch stärker in Bedrängnis geraten. Die Menschen in Osteuropa mussten über Jahrzehnte, von 1945 bis in die 1980er Jahre, ihren eigenen hohen Preis für diesen Sieg zahlen, doch Ende der 1930er Jahre gab es keine wirklich brauchbaren Alternativen.
Die Schätzungen der sowjetischen Opfer schwanken – sie reichen von den offiziell verzeichneten 700.000, die exekutiert oder in Arbeitslager deportiert wurden, wo jedes Jahr etwa ein Drittel der Häftlinge starb, bis zu mehreren Millionen, die zugrunde gingen, als ganze Bevölkerungsgruppen in den Hunger getrieben oder zwangsweise umgesiedelt wurden. Erst der katastrophale deutsche Überfall und der Krieg mit seinen noch einmal mehr als 20 Millionen Opfern haben den Krieg, den Stalin im Innern führte, abflauen lassen. Die Historiker sind sich uneins, ob er mit seinem Vorgehen auf besonders enthusiastische Parteigenossen reagierte, die eine große Umwälzung in welcher Form auch immer wollten, oder ob er die Säuberungen ganz bewusst arrangiert hat. Aber das spielt vielleicht auch gar keine Rolle. Wie Boris Pasternak am Schluss seines Romans Doktor Schiwago schildert, hofften einige nach dem Krieg auf ein normaleres Leben inmitten all der Zerstörung, die beseitigt werden musste, und einige Jahre sah es auch so aus, als sei der schlimmste Terror überstanden. Doch 1947 und 1948 kam der gleiche Mechanismus von Denunzierung und Schauprozess auch in denjenigen Ländern Osteuropas zur Anwendung, in denen die Russen kommunistische Regime installiert hatten. Als Marschall Tito in Jugoslawien – mit Sicherheit ein ebenso «reinrassiger» Marxist-Leninist wie die sowjetischen Führer – beschloss, die «Disziplin» der Kominform nicht zu akzeptieren, also sich nicht dem neuen internationalen «Informationsbüro» der kommunistischen Parteien anzuschließen, das die Sowjetunion 1947 als Ersatz für die während des Krieges aufgelöste Kommunistische Internationale einrichtete, wurde er von den Sowjets als Verräter beschimpft. Der Titoismus galt als genauso schlimm wie der Trotzkismus, als Abweichung im Verbund mit dem amerikanischen Kapitalismus, so wie Trotzki angeblich mit dem deutschen Faschismus gemeinsame Sache gemacht hatte. 1952 schien sich Stalins noch immer bestehender Antisemitismus zu einer Säuberungsaktion gegen die drei Millionen Juden in der Sowjetunion auszuwachsen, die den Mordkommandos der Nationalsozialisten entkommen waren; er plante offenbar, sie alle in ein jüdisches «homeland» in der Sowjetunion zu deportieren. Seine jüdischen
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