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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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Genossen als Rivalen und potentielle Verschwörer betrachtete. Ab Ende der 1920er Jahre häufte er ein Maß an Macht an, das sogar die institutionelle Vorrangstellung überstieg, welche die Parteiführung (und damit auch die des Staates) hätte verleihen sollen. Er war gefürchtet und wurde verehrt. Die Macht aller totalitären Herrscher wies eine ausgeprägte persönliche Komponente auf. Hitler und Mussolini hielten es für nötig, direkt zu kommunizieren, Stalin hingegen blieb eher auf Distanz und im Hintergrund, hatte aber wie eine wachsame patriarchale Gottheit alles sorgfältig im Blick.
    Auch im Bereich der Institutionen gab es Unterschiede. Von allen autoritären Staaten – das Regime der Republik China nicht mitgerechnet – verfügte Russland über die kürzeste Erfahrung mit repräsentativen Institutionen. Italien hatte seit 1860 eine parlamentarische Regierung, Deutschland seit 1871. Die russische Duma hingegen war nur zwischen 1905 und 1917 zusammengetreten, und das Wahlrecht wurde immer weiter eingeschränkt. In Deutschland und Italien gab es eine starke lokale Selbstverwaltung. Zudem hatte die Sowjetunion eine Gesellschaftsstruktur geerbt, welche die Bolschewiki von Anfang an frustrierte: eine riesige Bauernschaft, die sie als feindselig und rückständig betrachteten. Eine der programmatischen Parolen der Bolschewiki während der Interimsrepublik von März bis November 1917 war das Versprechen an die Bauern gewesen, sie dürften das von ihnen bestellte Land als eigenen Besitz übernehmen. Doch individueller Landbesitz war nicht die endgültige Eigentumsform, die sie im Blick hatten, und die kleinen Bauernhöfe versprachen auch nicht gerade große Produktivität. Ökonomische Hauptaufgabe war es in den Augen der Bolschewiki, die Produktivität des Agrarsektors zu steigern und die «freigesetzten» Arbeitskräfte in den Städten für die industrielle Entwicklung zu nutzen. Überdies sollten die bäuerlichen Landbesitzer für die Bolschewiki dauerhaft eine massive und missmutige Opposition darstellen. Einige Bolschewiki, allen voran Nikolai Bucharin, befürworteten zumindest eine lange Übergangszeit, in der die Bauern ihre Erzeugnisse auf einem privaten Markt verkaufen und ihre Besitzungen behalten durften.
    Stalin, dem es in erster Linie darum zu tun war, seine heimische Vormachtstellung zu sichern, wandte sich Ende der 1920er Jahre gegen jede schrittweise Politik. Nachdem er die internationalistische Linke 1928 attackiert hatte, ging er gegen die Führer der «rechten Abweichung» vor und erklärte, mit Sozialdemokraten sei in Europa keine Zusammenarbeit möglich, eine Politik, die vor allem für die deutsche Demokratie katastrophale Folgen hatte. Als Nebenfolge oder auch aus doktrinärer Überzeugung kündigte Stalin überdies die ökonomischen Kompromisse der frühen 1920er Jahre wieder auf und verfolgte auf dem Land eine Politik der Kollektivierung. Bauernwirtschaften wurden zu Kollektiven zusammengelegt, welche die Kontrolle über Traktoren und Arbeitsgerät behielten. Mehr als ein Jahr lang peitschten die Kommunisten eine verheerende Revolution auf dem Land durch, ehe sie einen Gang zurückschalten mussten. Insbesondere in der Ukraine gab es heftigen Widerstand, und Stalin verhängte schließlich 1931/32 eine Blockade über die Provinz, um den Widerstand der Bewohner mittels massenhafter Hungersnot zu brechen.[ 173 ] Im gleichen Zeitraum legte er den ersten Fünfjahresplan auf, der die Industrie verstaatlichte und die Privatwirtschaft beendete, während die Regierung im Donezbecken riesige Industrialisierungsprojekte startete. Arbeiter wurden zwangsverpflichtet und mussten unter grauenvollen Bedingungen Stahlfabriken und Wasserkraftwerke errichten. Die jungen Leute mussten im Rahmen der kommunistischen Jugendbewegungen beim Bau der Moskauer Metro mithelfen, und die extremste Form von Zwangsarbeit hatten politische Gefangene zu verrichten, die zum Bau des Weißmeerkanals in den eisigen Norden geschickt wurden.
    Während des ersten Fünfjahresplans 1932 bis 1937 erlebte die sowjetische Industrie ein rasantes Wachstum, während diese Phase für die kapitalistischen Volkswirtschaften, die mit der Weltwirtschaftskrise zu kämpfen hatten, eine eher düstere Zeit war. Diese Entwicklung hielt auch während des zweiten Fünfjahresplans an, der von 1937 bis 1942 gelten sollte, zu einer Zeit, als die Sowjets zahlreiche Industrieanlagen aus Westrussland hinter den Ural verlegten, wo sie besser vor einem

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