Geschichte des Gens
wirken. Diese Annahme bietet jedoch keine Erklärung dafür, daß bestimmte Zellen im Embryo den einen Entwicklungsgang einschlagen, während andere sich in eine andere Richtung entwickeln, falls diese Unterschiede allein durch die Gene bedingt sind. Eine Alternative wäre die Vorstellung, dass verschiedene Batterien von Genen im Verlauf der Entwicklung aktiv werden.«
Dies trifft tatsächlich zu, wie man heute weiß. Nur - wie sammelt man die Evidenz dafür? Ausgangspunkt waren wie so oft Mutanten von Drosophila. Bereits 1915 entdeckte Calvin Bridges in Morgans Fliegenraum eine Variante der Fliege, die - wie heute gesagt wird -das Ergebnis einer Mutation in einem homeotischen Gen ist. Mit Homeosis sind dabei Änderungen gemeint, bei denen eine Struktur ausfällt und durch eine ersetzt wird, die einer Struktur ähnelt, die es an anderer Stelle gibt. Konkret können sich statt Antennen Beine im Kopf zeigen - dies ist bei der Antennapedia-Mutante der Fall - oder der Thorax kann partiell verdoppelt auftreten - dies trifft für die Bithorax-Mutante zu, die 1915 gesichtet wurde. Fliegen, die mit dieser Mutation geboren werden, tragen statt winziger Schwingkölbchen (Halteren) ein zweites (wenn auch verkümmertes) Flügelpaar im Thoraxbereich.
Was die Bithorax-Mutante auszeichnet, konnte erst nach dem Zweiten Weltkrieg erkannt werden. Die Arbeit an diesem Problem ist das Lebenswerk von Ed Lewis, der bis heute in Morgans altem Fliegenraum arbeitet und mit Nobelwürden ausgestattet worden ist. Lewis konnte erst zeigen, dass es dabei um einen ganzen Genkomplex geht, der offenbar durch eine tandemartige Duplikation im Laufe der Evolution entstanden ist, und er konnte weiter zeigen, dass in diesem Komplex einzelne Gene auszumachen sind, die zur Bildung von Körperteilen wie Beinen oder Sinnesorganen führen und deren Morphogenese anstoßen. Nach und nach wurde nach dieser Pioniertat klar, dass es erstens für jedes Körpersegment ein solches Entwicklungsgen gab und dass zweitens diese Gene auf den Chromosomen auch noch so angeordnet sind, wie sie entlang der Körperachse zur Expression kommen. Diese Gene bekamen den Namen homeotische Gene, und sie wurden als Masterkontrollgene verstanden.
Wie sie im Detail gebaut sind, entzog sich solange dem wissenschaftlichen Zugriff, wie es keine Gentechnik und damit die Möglichkeit einer Klonierung der entsprechenden DNA-Abschnitte gab. (Die Genetiker nennen die Zeit vor der Möglichkeit zum Klonieren scherzhaft oft B.C., was nicht »Before Christ« meint, sondern »Before Cloning« abkürzt.) Mit den neuen Methoden (und mit neuen Mutanten) konnte man sich an die Charakterisierung von Masterkontrollgenen machen, und dabei stellte sich heraus, dass es erstens in ihnen ein Segment von 180 Basenpaaren gibt, das allen homeotischen Genen gemeinsam ist, und dass selbst solche Lebensformen homeotische Gene haben, bei denen das Auge äußerlich gar keine Körpersegmente erkennen kann, die es zu spezifizieren gäbe. Die Gene, die helfen, die Identität eines Abschnitts festzulegen, heißen manchmal auch Hox-Gene, und sie scheinen ein zentrales Element in der Evolution von komplexen Bauplänen zu sein. Hox-Gene, die inzwischen bei Ringelwürmern, Krebsen, Insekten und Wirbeltieren nachgewiesen werden konnten, lassen wahrscheinlich bald erkennen, wie sich die Baupläne des Lebendigen seit der Zeit des Kambriums entwickelt haben, die vor 500 Millionen Jahren war. Möglicherweise gewährt die Analyse der entsprechenden Gene auch einen Blick auf den Übergang von den Flossen der Fische zu den Gliedmaßen der Amphibien. Auf jeden Fall hat die Entdeckung der Homeo-Box einen universalen Kontrollmechanismus der Morphogenese ans Licht gebracht.
REPLIKATION
In der legendären Arbeit, mit der Watson und Crick 1953 die DNA als Doppelhelix präsentieren, gibt es gegen Ende den wahrscheinlich meist zitierten Satz der Wissenschaftsliteratur: »It has not escaped our notice that the specific pairing we have postulated immediately suggests a possible mechanism for the genetic material.« Es ist der Aufmerksamkeit von Watson und Crick also nicht entgangen, dass die spezifische Paarung der Basen, die sie in ihrem Modell vorschlagen, unmittelbar zu erkennen gibt, wie das genetische Material verdoppelt werden kann. Es geht um die Replikation der DNA, wie es in der Fachsprache zunächst heißt, bevor allgemeiner von der DNA-Synthese die Rede ist.
Watson und Crick meinen, dass der Doppelstrang getrennt wird und dann
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