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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Gesellschaften Platz greifen (s. oben S. 109), dann begreift man, dass – parallel zur Finanzialisierung des Kapitalismus seit den 70er Jahren und mit ihr verknüpft – die «Informalität» bzw. «Informalisierung» der Lohnarbeit eine globale Herausforderung darstellt, die nicht rasch vergehen wird. Letztlich resultiert sie wie die Finanzialisierung aus der immer durchdringenderen Anwendung der immerdominanter werdenden Prinzipien des Marktes in immer mehr Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft unter den Bedingungen der digitalisierten weltweiten Kommunikation. Die Milderung der daraus sich ergebenden großen sozialen Probleme wird ohne kräftige Intervention starker Staaten nicht gelingen.
5. Markt und Staat
    In den Kontroversen um Kapitalismus gelten Staat und Markt meist als Antipoden, und das mit guten Gründen. Markthandeln und staatlich-politisches Handeln sind in der Tat unterschiedlichen Logiken verpflichtet, zumal im demokratischen Zeitalter. Sie besitzen unterschiedliche Legitimationsgrundlagen: unterschiedlich verteilte Eigentumsrechte dort, gleiche Staatsbürgerrechte hier. Sie folgen unterschiedlichen Verfahren: dem des Tausches dort, dem der Debatte mit dem Ziel der Konsensbildung und der Mehrheitsentscheidung hier. Dort ist Geld das wichtigste Medium, hier dagegen Macht. Die Wahrnehmung partikularer Vorteile ist für Markthandeln das eindeutige Ziel, wenngleich mit Adam Smith beansprucht werden kann, dadurch indirekt dem allgemeinen Nutzen zu dienen. Die Verwirklichung des allgemeinen Wohls ist dagegen das Ziel der Politik, auch wenn klar ist, dass sich dessen Inhalt erst in diesem Prozess herausbildet, und zugestanden wird, dass die Wahrnehmung partikularer Interessen im Rahmen des demokratischen Entscheidungsprozesses legitim ist. Freiheitliche Verfassungsordnungen begründen seit dem 18. Jahrhundert die begrenzte Eigenständigkeit beider Sphären. Sie binden die Ausübung der politischen Macht zunächst an rechtsstaatliche, dann demokratische Grundlagen und gerade nicht an ökonomische Ressourcen. Gleichzeitig aber sichern sie das Recht auf Eigentum und alles, was daraus folgt, als Grundrecht ab und entziehen somit seinen Kern dem Zugriff der politisch-staatlichen Macht, so groß auch die verfassungsmäßigen Spielräume zur unterschiedlichen Ausgestaltung des Verhältnisses von Markt und Staat bleiben. In Verfassungsstaaten begrenzen sich politische Macht und aus Eigentumsrechten folgende ökonomische Ressourcen gegenseitig: einsehr grundsätzlicher Aspekt der Gewaltenteilung, der zur Gewährleistung von Freiheit beiträgt.[ 95 ]
    Immer wieder hat es politische Konstellationen gegeben, in denen der Gegensatz zwischen (mehr) Staat und (mehr) Markt die Hauptkontroverse darstellte, so im epochalen Konflikt zwischen staatlich gelenkter Zentralverwaltungs- und kapitalistischer Marktwirtschaft während des Kalten Kriegs und in den Auseinandersetzungen um «Neoliberalismus», Deregulierung und Privatisierung seit den 1980er Jahren.
    Trotzdem wäre es falsch, Markt und Staat ausschließlich als Antipoden zu begreifen. Die vorausgehende Darstellung hat vielmehr gezeigt, dass zwar eine gewisse institutionelle Ausdifferenzierung zwischen Markt und Staat, Wirtschaft und staatlicher Politik zu den Voraussetzungen jeglicher Form von Kapitalismus gehört, aber andererseits die enge Verbindung von Markt und Staat, von Wirtschaft und staatlicher Politik in wechselnden Formen historisch die Regel gewesen ist: von der geradezu symbiotischen Beziehung zwischen Hochfinanz und weltlicher wie geistlicher Herrschaft im Mittelalter über die dichte Verkettung zwischen Staatsbildung und Marktbildung im frühneuzeitlichen Europa und die staatliche Intervention zum Zweck der sozialen Regulierung von Lohnarbeit im 19. und 20. Jahrhundert bis hin zum gesteigerten Bedarf nach staatlicher Intervention als Folge der Finanzialisierung des Kapitalismus in jüngster Zeit. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen, bis hin zur gewichtigen Rolle staatlicher Politik bei Durchsetzung und Ausbau des Kapitalismus in den ostasiatischen «Tigerstaaten» seit den 1950/60iger Jahren und zur halb-diktatorischen Macht staatlicher Organe in China und Russland in den letzten Jahrzehnten.
    Es lassen sich, vor allem mit Blick auf den Westen, fürs 19. und 20. Jahrhundert drei ungleich lange Phasen unterscheiden,[ 96 ] und es sieht danach aus,

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