Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
den oppositionellen Whigs.
Unter Van Buren fand 1838/39 die größte staatlich organisierte Indianervertreibung in der Geschichte der USA statt: der «Trail of Tears» (Tränenmarsch) der Cherokees von Georgia, Tennessee, North Carolina und Alabama nach Oklahoma, in das Indianerterritorium der «Fünf zivilisierten Stämme», der Creeks, Cherokees, Choctaws, Chickasaws und Seminolen. Der Kongreß hatte bei der Deportation seine Hand im Spiel: Im Jahre 1836, noch unter der Präsidentschaft Jacksons, ratifizierte er mit einer Stimme Mehrheit einen Vertrag, in dem eine kleine Minderheit der Cherokee der Umsiedlung zugestimmt hatte. Bei dem Marsch nach Westen kamen nach vorsichtigen Schätzungen mindestens 4000 der insgesamt 15.000 Cherokees um.
Die Zeit der «Jacksonian Democracy» brachte dem Land einen Demokratisierungsschub, der auf Kosten der europäisch geprägten Eliten der Ostküste ging. Die Honoratioren des Ostens konnten den politischen Prozeß fortan nicht mehr so ungehindert steuern wie bisher, sondern mußten frühzeitig die Massen der Amerikaner in die Willensbildung einbeziehen. Die Einzelstaaten erweiterten das Wahlrecht, behielten aber mehr oder minder weitgehende Beschränkungen bei. Kandidaten für das Amt des Präsidenten wurden fortan nicht mehr durch einen «caucus» von Senatoren und Abgeordneten des Repräsentantenhauses, sondern «conventions» der Parteianhänger nominiert, Wahlkämpfe landesweit mit den Mitteln einer psychologisch ausgeklügelten Propaganda, und das hieß vor allem mit ebenso einfachen wie eingängigen Parolen, geführt. Richter der niederen Gerichtsbarkeit gelangten seit den 1830er Jahren durch Volkswahl ins Amt: ein Beitrag zu dem, was man in Amerika «grassroot democracy» (Graswurzeldemokratie) nennt. Die wichtigsten Posten in der Verwaltung gingen seit langem an aktive Unterstützer der siegreichen Partei; auf ihre berufliche Eignung kam es dabei nicht, oder jedenfalls nicht in erster Linie, an. Es war dieses «spoils system», das europäische Beobachter zutiefst befremdete, stand es doch in schärfstem Gegensatz zu den Traditionen des Berufsbeamtentums, wie sie der alte Kontinent seit langem kannte.[ 66 ]
Tocqueville in Amerika: Das Zeitalter der Gleichheit
Es war das Amerika Andrew Jacksons, das Alexis de Tocqueville in den Jahren 1830 und 1831 kennenlernte und in seinem berühmten vierbändigen Werk «De la Démocratie en Amérique» beschrieb. Was ihn zugleich beeindruckte und bestürzte, ja mit «einer Art religiösen Erschreckens» (une sorte de terreur religieuse) erfüllte, war die unwiderstehliche Entwicklung hin zu wachsender Gleichheit der gesellschaftlichen Verhältnisse – eine Revolution, die sich seit Jahrhunderten vollzog, in Europa aber noch längst nicht so weit fortgeschritten war wie in den Vereinigten Staaten. «Das Volk herrscht über die politische Welt Amerikas wie Gott über das Universum. Es ist der Anfang und das Ende aller Dinge, alles geht aus ihm hervor und alles geht in ihm auf.»
Für Tocqueville war das zeitgenössische Amerika der Spiegel, in dem Europa seine politische Zukunft erkennen konnte. Auf das Prinzip der Volkssouveränität, das in den Vereinigten Staaten herrschte, lief auch im alten Kontinent alles hinaus. Aus der Volkssouveränität folgte, was der französische Beobachter die «Allmacht der Mehrheit» (l’omnipotence de la majorité) nannte, aus der leicht die «Tyrannei der Mehrheit» (la tyrannie de la majorité) werden konnte. Die Mehrheit bestimmte die öffentliche Meinung, und diese regierte immer mehr die Welt. «Unter welchen politischen Gesetzen die Menschen in Zeiten der Gleichheit auch stehen mögen, es läßt sich voraussehen, daß der Glaube an die allgemeine Meinung zu einer Art Religion werden wird, deren Prophet die Mehrheit ist.»
Der Geist der Freiheit war stark in den Vereinigten Staaten, desgleichen die Liebe zur Gleichheit. Die Gleichheit aber konnte, wenn man sie übertrieb, zur Gefahr für die Freiheit werden. «In den Vereinigten Staaten übernimmt die Mehrheit die Aufgabe, dem Einzelnen eine Menge fertiger Meinungen vorzusetzen und enthebt sie damit der Verpflichtung, sich selbst ihre eigene Meinung zu bilden. So gibt es in philosophischen, sittlichen oder politischen Fragen eine große Zahl von Theorien, die jeder im Vertrauen auf die Öffentlichkeit unbesehen übernimmt. Und wenn man sehr genau hinsieht, wird man feststellen, daß sogar die Religion dort sehr viel weniger als offenbarte
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