Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
das Europa vor der völligen Auflösung bewahrt hat?»
In St. Petersburg beurteilte man die Monroe-Doktrin nicht anders als in Wien. Zar Alexander äußerte sich gegenüber dem russischen Gesandten in Washington über die neue Lehre aus Amerika mit den Worten tiefster Verachtung, empfahl dem Diplomaten aber, die Botschaft mit Stillschweigen zu beantworten. Angesichts der laufenden Verhandlungen über die Südgrenze von Russisch-Amerika konnte dem Zaren und seiner Regierung an einer Verschlechterung des Verhältnisses zu den USA nicht gelegen sein. Metternich und der französische Außenminister Chateaubriand hofften, angesichts der republikanischen Propaganda aus Amerika werde Großbritannien sich nun wieder den konservativen Mächten auf dem europäischen Kontinent annähern. Diese Erwartung trog. Canning hatte zwar mit dem Gedanken einer Allianz der beiden angelsächsischen Mächte keinen Erfolg gehabt. Aber in der Sache, der Loslösung Lateinamerikas von Spanien und Portugal, stimmten Großbritannien und die Vereinigten Staaten überein, weil dieser Prozeß in ihrem wirtschaftlichen und politischen Interesse lag. Der britisch-amerikanische Konsens von 1823 begründete noch keine «special relationship» zwischen den beiden Ländern. Aber die Nähe ihrer Positionen ließ doch erstmals die Entstehung eines solchen Sonderverhältnisses möglich erscheinen.
In der Regierung der Vereinigten Staaten hatte es zwar vor dem Dezember 1823 unterschiedliche Auffassungen über die Wünschbarkeit einer engeren, vielleicht gar vertraglich vereinbarten Zusammenarbeit mit dem einstigen Mutterland gegeben: Finanzminister William H. Crawford und Kriegsminister John C. Calhoun waren ebenso wie die von Monroe konsultierten ehemaligen Präsidenten Jefferson und Madison dafür, Außenminister John Quincy Adams, wie schon erwähnt, dagegen. Doch nachdem sich der Präsident für die Linie seines Secretary of State entschieden hatte, gab es in der Öffentlichkeit allgemeine Zustimmung zu den klaren Aussagen der Botschaft vom 2. Dezember 1823. Im November des folgenden Jahres standen in den USA Präsidentschaftswahlen an. Die meisten Stimmen entfielen auf den populären Republikaner Andrew Jackson, der vor allem in den westlichen Bundesstaaten starken Zuspruch fand. Da er aber die absolute Mehrheit verfehlte, mußte das Repräsentantenhaus den Präsidenten wählen. Es entschied sich im ersten Wahlgang für den von den Föderalisten zu den Republikanern übergewechselten John Quincy Adams, auf den die zweithöchste Stimmenzahl entfallen war.
Adams, der hochgebildete, aristokratisch wirkende Intellektuelle aus Massachusetts, der vor seiner Zeit als Außenminister Gesandter der USA in Berlin, St. Petersburg und London gewesen war, verstand es als Präsident nicht, die Popularität zu gewinnen, die er für eine Wiederwahl gebraucht hätte. Das wichtigste Ergebnis seiner vierjährigen Amtszeit war die vom Kongreß beschlossene Aufhebung von Schutzzöllen für Industrieprodukte im Jahre 1828 – eine Maßnahme, mit der Adams die amerikanischen Farmer und namentlich die Plantagenbesitzer des Südens nachhaltig verärgerte. Bei ebendieser großen Gruppe fand dagegen Andrew Jackson lebhafte Zustimmung, der bei den Präsidentschaftswahlen von 1828 gegen Adams antrat und ihn besiegte.
Jackson, ehemaliger Kongreßabgeordneter und Richter am Obersten Gericht von Tennessee, 1769 als Sohn irischer Einwanderer in North Carolina geboren, hatte als General der Miliz von Tennessee 1814 die Creek-Indianer bei Horseshoe Bend und im Januar 1815, zwei Wochen nach dem zu dieser Zeit in Amerika noch nicht bekannten Friedensschluß von Gent, die Briten bei New Orleans besiegt; in den Jahren 1817 und 1818 erwarb er sich durch erfolgreiche Kämpfe mit den Spaniern in Florida neuen Ruhm. Im Zivilleben war «Old Hickory» (so der Spitzname, den er nach seinem Sieg über die Creeks erhielt) Farmer und Geschäftsmann in Tennessee. Er ließ keinen Zweifel daran, daß er kein Gegner der Sklaverei und alles andere als ein Freund der Indianer war: Im Jahre 1830 verabschiedete der Kongreß den «Indian Removal Act», der Jackson und seinen Nachfolgern die Vollmacht zur Internierung und Umsiedlung von Indianerstämmen aus ihren überkommenen Wohngebieten gab.
Aus der Koalition der Kräfte, die ihm bei den Präsidentschaftswahlen vom November 1828 zu einem überwältigenden Sieg verhalf, formte Jackson eine neue Partei, die sich zunächst «Democratic Republicans», seit
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