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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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einer Herrenkurie und drei weiteren Kurien, einer der Rittergutsbesitzer, einer der sonstigen ländlichen Grundbesitzer und einer von besonders qualifizierten städtischen Grundbesitzern, jeweils gebildet aus den seit 1823 bestehenden Provinziallandtagen. Der Vereinigte Landtag sollte das Recht der Steuerbewilligung und der Genehmigung von Staatsanleihen haben, nicht jedoch das der «Periodizität», also auf eine regelmäßig wiederkehrende Einberufung. Aus eigenem Antrieb durfte die Versammlung nicht zusammentreten. Ihre Einberufung war allein Sache des Königs. In seiner Eröffnungsrede machte Friedrich Wilhelm am 11. April 1847 vor allem klar, was er nach wie vor nicht wollte: eine Verfassung für Preußen. Nie und nimmer, so erklärte er, würde er zugeben, «daß sich zwischen unseren Herr Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als eine zweite Vorsehung eindrängt».
    Dem König und seinen Ministern ging es bei der Einberufung ausschließlich um Geld: Die Delegierten der Provinziallandtage sollten dem preußischen Staat eine Anleihe von 25 Millionen Talern für den Bau der geplanten Ostbahn nach Königsberg garantieren. An dieser Eisenbahnlinie hatte die Industrie in Rheinland und Westfalen ein ebenso großes Interesse wie die Großgrundbesitzer in Ostpreußen. Die Abgeordneten des Vereinigten Landtages waren von der Notwendigkeit des Vorhabens gleichermaßen überzeugt, aber noch mehr lag ihnen an der Konstitutionalisierung und Parlamentarisierung Preußens. Mit einer derartigen Kümmerform des Parlamentarismus, wie sie ihnen vom König angesonnen wurde, wollten sie sich daher nicht zufrieden geben. Folgerichtig lehnte der Vereinigte Landtag die Bewilligung der geforderten Anleihe ab.
    Damit war die Erneuerung Preußens von «oben», getragen von einem aufgeklärten Beamtentum, am Ende. Wenn die Modernisierung weitergehen sollte, mußte der Hohenzollernstaat der wirtschaftlich erstarkten, politisch selbstbewußt gewordenen Gesellschaft ein beträchtliches Maß an Mitbestimmung einräumen. Dem preußischen Staat die Machtfrage zu stellen kam freilich auch den liberalen Vertretern der Gesellschaft nicht in den Sinn. Das Nein zu einer Anleihe war eine Demonstration, kein Aufruf zur Revolution.
    Die andere deutsche Großmacht, Österreich, hatte ebensowenig wie Preußen eine Verfassung. Dieser negativen Gemeinsamkeit standen aber erhebliche Unterschiede gegenüber: Im Habsburgerreich war die Bürokratie weniger leistungsfähig, die Zensur strenger, das Spitzelwesen weiter verbreitet als im Staat der Hohenzollern. Die Industrialisierung hatte in Österreich gerade erst begonnen; von der erstrebten Sanierung der Staatsfinanzen war die Wiener Regierung in den vierziger Jahren weiter entfernt als zuvor; die wachsende Verschuldung machte Österreich von den Banken, namentlich dem jüdischen Bankhaus Rothschild, zunehmend abhängig. Forderungen nach einer liberalen Verfassung für den Gesamtstaat fanden Zustimmung im liberalen Bürgertum der Hauptstadt, aber nicht am Kaiserhof und in der Regierung. Die deutschsprachigen Österreicher fühlten sich, wo immer sie politisch standen, als Deutsche und damit als Teil einer gemeinsamen, größeren Nation, zugleich aber auch als das führende Volk des habsburgischen Vielvölkerreiches.
    Im weitgehend selbständigen Ungarn, dessen König der Kaiser von Österreich war, beanspruchten die Magyaren die Führungsrolle gegenüber der Mehrheit der nichtmagyarischen Nationalitäten, darunter Kroaten, Rumänen, Slowaken, Deutsche und Serben. Von den slawischen Völkern hatten sich als erste die Polen, wenn auch vergeblich, 1846 gegen die habsburgische Herrschaft erhoben. In den vierziger Jahren begannen auch die Tschechen in Böhmen sich ihrer nationalen Eigenart stärker bewußt zu werden: ein Prozeß, der in Italien, wie wir gesehen haben, schon sehr viel früher eingesetzt hatte.
    Der österreichische Staatskanzler handelte wie stets nach der Devise: Wehret den Anfängen. Metternichs Haltung gegenüber den nationalen Bestrebungen der nichtdeutschen und nichtmagyarischen Nationalitäten unterschied sich in nichts von seiner Politik im Deutschen Bund: Sie erschöpfte sich in Unterdrückung. Das «System Metternich» bewirkte eine fortschreitende geistige Entfremdung zwischen Österreich und dem übrigen Deutschland. Die politische Abschottung gegenüber allem, was sich in Preußen und erst recht im «dritten Deutschland» an Opposition regte, fand ihr

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