Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Souveränität der Kantone durch die Souveränität des Volkes der Eidgenossenschaft beschränkt und damit letztlich überwunden wurde. An die Stelle der Tagsatzung trat die Bundesversammlung, die aus zwei Kammern bestand: dem Ständerat als Vertretung der Kantone und dem Nationalrat als Vertretung der Bevölkerung insgesamt, wobei alle männlichen Schweizer, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten, über das aktive Wahlrecht verfügten. Die Exekutive bildete der siebenköpfige Bundesrat mit einem Bundespräsidenten an der Spitze. Was sich bei der Billigung der Verfassung noch nicht absehen ließ, war ein Jahr später zur historischen Tatsache geworden: Die Schweiz war neben Dänemark und den Niederlanden das einzige Land Europas, in dem die freiheitlichen Kräfte aus den Verfassungskämpfen des Revolutionsjahres 1848 als Sieger hervorgingen.
Auch südlich der Alpen vollzogen sich im Jahr 1847 bedeutende Veränderungen. König Karl Albert von Piemont-Sardinien gelangte zu der Einsicht, daß sich sein Ansehen im eigenen Land wie in Italien insgesamt nur durch Zugeständnisse an die liberalen Patrioten steigern ließ. Er lockerte die Zensur, ersetzte im Oktober 1847 seine konservativen Minister durch vergleichsweise fortschrittliche und förderte gezielt die politischen Bestrebungen gemäßigter Liberaler wie des Grafen Cesare Balbo, der im gleichen Jahr zusammen mit dem Grafen Camillo di Cavour, dem späteren Ministerpräsidenten von Sardinien-Piemont, eine Zeitung mit dem programmatischen, die ganze Epoche prägenden Namen «Il Risorgimento» gründete.
Überraschende Veränderungen gab es um dieselbe Zeit auch im Kirchenstaat. Der 1846 gewählte Papst Pius IX., geboren als Giovanni Maria Conte Mastai-Feretti, verurteilte zwar in der Tradition seines Vorgängers, Gregors XVI., in der Enzyklika «Qui pluribus» gleich zu Beginn seines Pontifikats Liberalismus und Rationalismus (und zusätzlich erstmals auch den Kommunismus). Zugleich aber kam er dem dringenden Wunsch nach Reformen entgegen, zu denen neben einer überfälligen Reorganisation der Verwaltung eine Gemeindeverfassung für Rom und eine politische Amnestie gehörten.
Das päpstliche Beispiel ermutigte den Großherzog der Toskana, Leopold II., seinerseits eine Politik der Verständigung mit der Einheits- und Freiheitsbewegung einzuleiten. Metternich war von diesen Vorgängen, vor allem denen im Kirchenstaat, um so mehr besorgt, als er ein übergreifen der Reformbestrebungen auf das österreichische Lombardo-Venetien befürchten mußte. Unter Berufung auf einen Artikel der Wiener Schlußakte von 1820 ließ der Wiener Staatskanzler am 17. Juli 1847 die Stadt Ferrara durch österreichische Truppen besetzen. Der prompte Protest des Papstes machte diesen aber bei den Italienern noch populärer und veranlaßte König Karl Albert, Pius IX. für den Fall weiterer österreichischer Interventionen den militärischen Beistand von Sardinien-Piemont anzubieten.
Weit dramatischer als in Nord- und Mittelitalien verlief die Entwicklung in Sizilien. Dort lehnte sich im Januar 1848 ein breites Bündnis von Liberalen und Demokraten, das von Teilen des Adels und der Arbeiterschaft in Stadt und Land unterstützt wurde, gegen die bourbonische Herrschaft im Königreich beider Sizilien auf. Die bisher Regierenden verloren binnen kurzem die Kontrolle über den Großteil der Insel. Im Februar bildete sich eine provisorische Regierung aus gemäßigten Liberalen und Demokraten, der als Vertreter der letzteren der junge Francesco Crispi, der italienische Ministerpräsident der Jahre 1887 bis 1891 und 1893 bis 1896, angehörte. Die Revolution hatte in Sizilien also bereits begonnen, als in Frankreich im Februar 1848 die Julimonarchie stürzte: das Ereignis, das gemeinhin als Auftakt des Revolutionsjahres 1848 gilt.
In Neapel, der Hauptstadt des Königreichs beider Sizilien, kam es infolge der starken Präsenz des Militärs zu keinem revolutionären Umsturz. Ferdinand II. reagierte auf die Ereignisse in Sizilien und die wachsende Opposition im übrigen Königreich mit dem Erlaß der Verfassung vom 10. Februar 1848, die auf weiten Strecken der französischen Charte vom August 1830 ähnelte, dem Monarchen aber mehr Macht einräumte als im Frankreich der Julimonarchie.[ 84 ]
Um die gleiche Zeit wie in Italien geriet auch in Preußen die alte Ordnung in die Krise. Im Februar 1847 berief König Friedrich Wilhelm IV. den «Vereinigten Landtag» nach Berlin ein. Die Versammlung bestand aus
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