Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
unterschiedlicher Konsequenz an diese Richtlinien: am stärksten Hannover, am wenigsten Baden.
Österreich setzte wie in den letzten Jahren der Regierungszeit Schwarzenbergs, so auch unter dem Ministerium Buol auf die Schaffung eines großen mitteleuropäischen Wirtschaftsraumes in Gestalt einer Zollunion, die, wenn sie verwirklicht worden wäre, die wirtschaftliche Grundlage der von Schwarzenberg eingeleiteten Mitteleuropapolitik hätte bilden können. In ebendieser Absicht hatte der österreichische Handelsminister Karl Ludwig von Bruck seine einschlägigen Denkschriften von 1849 und 1850 abgefaßt. In der Praxis lief das Vorhaben Brucks auf einen Zusammenschluß des Habsburgerreiches und des Deutschen Zollvereins hinaus, dessen vertragliche Erneuerung zwischen 1851 und 1853 anstand. Preußen aber dachte nicht daran, die wirtschaftspolitische Führungsrolle aufzugeben, die es im nichtösterreichischen Deutschland mittlerweile errungen hatte, und, wie das in der Logik der Bruckschen Pläne lag, vom Freihandel zu einem Schutzzollsystem überzugehen. Der Hohenzollernstaat setzte die Mittelstaaten unter Druck und erreichte nicht nur die Fortsetzung des Deutschen Zollvereins um zwölf Jahre, sondern auch seine Erweiterung um Hannover und die anderen Mitglieder des 1834 gegründeten «Steuervereins», nämlich Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe, zum 1. Januar 1854. Wien mußte sich mit dem preußisch-österreichischen Handelsvertrag vom Februar 1853 begnügen und seine weitergehenden Pläne bis 1860 vertagen. Berlin war es damit gelungen, auf handelspolitischem Gebiet die Niederlage wettzumachen, die ihm Österreich 1850 durch die «Schmach von Olmütz», die Vereitelung der preußischen Unionspolitik, beigebracht hatte.
Im Herbst 1857 mehrten sich die Anzeichen für eine schwere geistige Erkrankung König Friedrich Wilhelms IV. Am 23. Oktober beauftragte der kinderlose Monarch den Thronfolger Prinz Wilhelm für die Dauer von drei Monaten mit seiner Stellvertretung, wobei er ihn anwies, die Regierung nach den bisherigen Intentionen weiterzuführen. Ein solches Provisorium bot nach Meinung der Regierung von Manteuffel den sichersten Schutz vor einer Änderung der preußischen Politik und wurde deshalb, als sich der Gesundheitszustand des Königs nicht besserte, 1858 noch dreimal, jeweils auf drei Monate befristet, verlängert. Verfassungsrechtliche Bedenken des Justizministers und des Prinzen Wilhelm führten schließlich dazu, daß das Kabinett seinen Widerstand gegen eine förmliche Regentschaft des Thronfolgers aufgab. Der Königin Elisabeth gelang es, den König am 7. Oktober 1858 zu einem entsprechenden Ersuchen an seinen Bruder zu bewegen. Dieser leistete am 9. Oktober der Bitte Folge und berief noch am gleichen Tag gemäß Artikel 56 der preußischen Verfassung die beiden Kammern zu einer gemeinsamen Sitzung ein, um über die Notwendigkeit der Regentschaft zu beschließen. Am 25. Oktober faßten diese den erforderlichen Beschluß. Am folgenden Tag leistete der Prinzregent vor beiden Kammern seinen Eid auf die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850.
Als Stellvertreter hatte Prinz Wilhelm trotz stärkster Vorbehalte gegenüber dem starren Konservativismus der Regierung Manteuffel in deren Politik kaum eingegriffen. Als Prinzregent führte er sofort einen Kurswechsel herbei. Er berief ein liberalkonservatives Kabinett, das nominell von Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen, tatsächlich von dem gemäßigt liberalen Rudolf von Auerswald geleitet wurde, der schon einmal, vom Juni bis September 1848, an der Spitze einer preußischen Regierung gestanden hatte. Die meisten Mitglieder der neuen Regierung gehörten der liberalkonservativen «Wochenblattpartei» an oder standen ihr nahe; zwei Minister (die einzigen, die ihre Ressorts schon im Kabinett Manteuffel innegehabt hatten) waren den gemäßigten Konservativen zuzurechnen, einer den «Altliberalen». Die ultrakonservative «Kamarilla» um die Brüder Leopold und Ludwig von Gerlach und den Staatsrechtslehrer Friedrich Julius Stahl, die zu Beginn der fünfziger Jahre den König, wenn auch vergeblich, zum Staatsstreich und dem Erlaß einer neuen Verfassung gedrängt hatte, besaß im Ministerium Hohenzollern-Auerswald keinen Rückhalt mehr. Zumindest für Preußen bedeutete der Kabinettswechsel vom Herbst 1858 das Ende der «Reaktionszeit».
Die Ansprache, die der Prinzregent am 8. November an das Kabinett hielt, ließ die Liberalen nicht nur in
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