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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Anschlag hatte ein scharfes Gesetz gegen republikanische Bestrebungen in Frankreich zur Folge, führte aber nicht, wie man in Turin und in der Società Nazionale zunächst befürchtet hatte, zum Abbruch der engen Beziehungen zwischen Frankreich und Piemont. Napoleon gelangte durch den Vorfall vielmehr zu der Überzeugung, daß er mit der Lösung der italienischen Frage nicht länger warten durfte. Er sorgte deshalb dafür, daß ein Brief des inhaftierten Attentäters, in dem dieser den Kaiser in dringlichen Worten um Hilfe bei der Befreiung Italiens bat, vor Gericht verlesen und im regierungsamtlichen «Moniteur» abgedruckt wurde. Dann folgte der entscheidende Schritt: Am 21. und 22. Juli trafen Napoleon III. und Cavour unter höchster Geheimhaltung und ohne vorherige Information der Regierungen in Paris und Turin im Vogesenbad Plombières zusammen, um sich über das weitere Vorgehen in der italienischen Sache abzustimmen.
    Was der Kaiser der Franzosen dem Ministerpräsidenten von Sardinien-Piemont vorschlug, blieb weit hinter den Erwartungen der italienischen Patrioten zurück. Napoleon III. ging es nicht um die Gründung eines neuen souveränen Nationalstaates, sondern um die Schaffung einer lockeren, nominell vom Papst geleiteten Konföderation italienischer Staaten, in der Piemont lediglich die Rolle des primus inter pares beanspruchen konnte. Dem norditalienischen Königreich versprach der Kaiser militärischen Beistand bei einem Krieg mit Österreich, den Turin zwar provozieren sollte, aber auf eine Weise, die Österreich in den Augen der europäischen Öffentlichkeit als den Schuldigen erscheinen ließ. Lombardo-Venetien, die Herzogtümer Parma und Modena sowie die zum Kirchenstaat gehörige Romagna sollten mit Piemont vereinigt werden. Ein weiteres Königreich sollte die Toskana, die Marken und Umbrien umfassen, der Kirchenstaat auf Rom und Latium beschränkt werden. Als drittes Königreich war Neapel vorgesehen, wobei noch offen blieb, ob das Königreich beider Sizilien in den Händen der spanischen Bourbonen verbleiben oder den Nachfahren von Murat, dem Schwager Napoleons I., übertragen werden sollte. Frankreich wollte für seine Mitwirkung beim Krieg mit Österreich durch die Abtretung von Nizza und Savoyen belohnt werden.
    Trotz der Opfer, die Napoleon III. dem Königreich Sardinien-Piemont aufzuerlegen gedachte, erklärte sich Cavour zur Annahme der Vorschläge bereit. Der Verzicht auf das italienischsprachige Gebiet um Nizza, den Geburtsort Garibaldis, war eine noch größere Zumutung als die verlangte Abtretung des französischsprachigen Savoyen, des Stammlandes des Turiner Herrscherhauses. Die Proteste der Patrioten waren leicht vorhersehbar. Dennoch erschien Cavour der Preis, den Napoleon forderte, nicht zu hoch. Der Ministerpräsident ging offenbar davon aus, daß ein Sieg über Österreich eine Dynamik in Gang setzen würde, die schließlich die Einigung Italiens unter piemontesischer Führung unvermeidbar machte. Angesichts der krassen Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Nord und Süd sprach ohnehin vieles dafür, die Gründung eines italienischen Nationalstaates nicht zu überstürzen. Entscheidend war fürs erste, daß dem stark vergrößerten Königreich Sardinien-Piemont die faktische Vorherrschaft in Italien zufiel, womit sich auch die Gefahr einer allzu starken Abhängigkeit von Frankreich erheblich vermindern würde.
    Um dieses übergeordneten Zieles willen versprach Cavour dem Kaiser in Plombières sogar, dessen delikatesten Wunsch, den Vorschlag einer dynastischen Verbindung der Häuser Savoyen und Bonaparte, gegenüber dem König zu unterstützen: Napoleon wollte seinen als «Schürzenjäger» berüchtigten Neffen Joseph Charles Paul Bonaparte, genannt «prince Plon-Plon», mit der zwanzig Jahre jüngeren, erst fünfzehnjährigen Prinzessin Marie-Clothilde, der Tochter Viktor Emanuels II., verheiraten und ihn hernach auf den Thron des neuen mittelitalienischen Königreiches setzen. Dem König fiel es schwer, diesem Ansinnen nachzukommen, aber im höheren Staatsinteresse gab er schließlich auch hier dem Drängen des Ministerpräsidenten nach.
    Rund fünf Monate nach der konspirativen Zusammenkunft von Plombières, im Dezember 1858, schlossen das zweite französische Kaiserreich und das Königreich Sardinien-Piemont einen Geheimvertrag. Er enthielt außer den Punkten, auf die man sich bereits im Juli verständigt hatte, eine Klausel, in der sich Turin verpflichtete,

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