Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
(l’équilibre actuel des forces en Europe) stören und so die Interessen und die Ehre Frankreichs gefährden könnte. Wir hoffen, daß die Eventualität sich nicht verwirklichen wird; wir rechnen dabei auf die Weisheit des deutschen und auf die Freundschaft des spanischen Volkes. Wenn es anders kommen sollte, so würden wir, stark durch Ihre Unterstützung und durch die der Nation, unsere Pflicht ohne Zaudern und ohne Schwäche zu erfüllen wissen.»
Der Herzog von Gramont war bis zu seiner Ernennung zum Außenminister im Mai 1870 acht Monate lang französischer Botschafter in Wien gewesen und hatte sich den Ruf eines autoritären, klerikalen und entschieden antipreußischen Bonapartisten erworben. Seine Kammerrede klang nicht nur kriegerisch, sie war so gemeint. Einen Krieg mit Frankreich aber wollten weder Fürst Anton von Hohenzollern-Sigmaringen noch König Wilhelm I. von Preußen riskieren. Am 12. Juli erklärte Fürst Anton, von Wilhelm dazu gedrängt, den Verzicht seines abwesenden Sohnes auf die spanische Thronkandidatur. König und Fürst hatten aber die Rechnung ohne Bismarck gemacht. Am gleichen 12. Juli kehrte dieser, von längerer Krankheit noch nicht voll genesen, von seinem pommerschen Gut Varzin nach Berlin zurück, wo er sogleich einen «Kriegsrat» mit Kriegsminister von Roon, Innenminister Graf Eulenburg und Generalstabschef von Moltke abhielt.
Überaus gelegen kam dem Kanzler des Norddeutschen Bundes die französische Forderung nach einer Art von Entschuldigungsschreiben Wilhelms, die Gramont am 12. Juli über den Gesandten des Norddeutschen Bundes in Paris, von Werther, nach Berlin übermitteln ließ. Im gleichen Sinn war der französische Botschafter, Graf Benedetti, bereits am 9. und 12. Juli bei König Wilhelm vorstellig geworden, der in Bad Ems zur Kur weilte. Das französische Drängen wurde seit Gramonts Rede vom 6. Juli von der deutschen Öffentlichkeit mit zunehmender Verärgerung, ja Entrüstung aufgenommen, und das nicht nur im Norddeutschen Bund, sondern auch in Süddeutschland. Am 13. Juli unternahm Benedetti auf der Kurpromenade von Bad Ems einen weiteren Versuch, vom preußischen König eine ausdrückliche und für alle Zukunft bindende Garantie für den Thronverzicht des Erbprinzen zu erhalten. Wilhelm ließ sich dazu herbei, die Erklärung Fürst Antons vom Vortag mündlich zu billigen, lehnte aber die von Benedetti geforderte schriftliche Erklärung ab.
Die Mitteilung hierüber, die der Vortragende Rat von Abeken nach Berlin schickte, redigierte Bismarck durch radikale Kürzung so, daß der demütigende Charakter des französischen Ansinnens überdeutlich hervortrat, und ließ sie in dieser Form den deutschen Höfen, den Regierungen anderer Staaten außer Frankreich und der Presse zugehen. Die «Emser Depesche» löste in Deutschland, wie es der Bundeskanzler vorhergesehen hatte, einen Aufschrei der nationalen Empörung aus. Damit fand sich nun Frankreich in der Rolle wieder, die es Preußen zugedacht hatte: Es hatte jeden Grund, sich gedemütigt zu fühlen. Nach Lage der Dinge blieb Napoleon III. keine andere Wahl, als das zu tun, was Bismarck erwartete: Am 19. Juli erklärte Frankreich Preußen den Krieg.
Der Krieg, der durch die Emser Depesche unvermeidbar wurde, war Bismarcks Krieg. Der Leiter der preußischen Politik hatte diesen Krieg gewollt, weil er die einmalige Gelegenheit bot, mit der Unterstützung ganz Deutschlands das französische Veto gegen die deutsche Einheit außer Kraft zu setzen. Dennoch kann man nicht von einer alleinigen Kriegsschuld Bismarcks oder Preußens sprechen. Wie 1864 und 1866 gab es 1870 eine Kriegspartei auch auf der anderen Seite: damals in Kopenhagen und Wien, jetzt in Paris. Gramont genoß die Unterstützung der Kaiserin Eugénie und der entschiedenen Bonapartisten. Das Nein, das er im Namen Frankreichs der Vereinigung Deutschlands entgegenstellte, ließ sich nur machtpolitisch, nicht aber mit dem Grundsatz des nationalen Selbstbestimmungsrechts der Völker begründen, auf das Napoleon III. sich bei anderer Gelegenheit immer wieder berufen hatte. Die Parole «Revanche pour Sadova», also der Wunsch, die Scharte von Königgrätz auszuwetzen, erfreute sich in Frankreich beträchtlicher Popularität. Die innenpolitische Stellung Napoleons III. war mittlerweile viel zu geschwächt, als daß der Kaiser sich Nachgiebigkeit gegenüber Bismarck hätte leisten können. Der Krieg von 1870/71 war folglich auch sein Krieg – und zwar, wie sich
Weitere Kostenlose Bücher