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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Verteidigungskrieges und verwandelte ihn in einen deutschen Eroberungskrieg. Der Gegner Deutschlands war seit dem Umsturz in Paris nicht mehr das Regime des bonapartistischen Usurpators, sondern eine revolutionäre Regierung, die das republikanische und demokratische Frankreich vertrat.
    Daraus ergab sich für Marx mit innerer Logik die Botschaft, die er am 9. September 1870 in der «Zweiten Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg» verkündete: «Der Verteidigungskrieg endete in der Tat mit der Ergebung Louis-Napoleons, der Kapitulation von Sedan und der Proklamation der Republik Paris … Ganz wie das zweite Kaiserreich den Norddeutschen Bund (für) unvereinbar mit seiner Existenz hielt, ganz so muß das autokratische Rußland sich gefährdet glauben durch ein deutsches Reich mit preußischer Führerschaft. Das ist das Gesetz des alten politischen Systems … Des Zaren überwiegender Einfluß in Europa wurzelt in seiner traditionellen Oberherrlichkeit über Deutschland … Wenn das Glück der Waffen, der Übermut des Erfolgs und dynastische Intrigen, Deutschland zu einem Raub an französischem Gebiet verleiten, bleiben ihm nur zwei Wege offen. Entweder muß es, was auch immer daraus folgt, der offenkundige Knecht russischer Vergrößerung werden, oder es muß sich nach kurzer Rast für einen neuen ‹defensiven› Krieg rüsten, nicht für einen jener neugebackenen ‹lokalisierten› Kriege, sondern zu einem Rassenkrieg gegen die verbündeten Rassen der Slawen und Romanen.»
    In Deutschland fand Marx mit seinem Protest gegen die bevorstehende Annexion von Elsaß und Lothringen nur wenige Verbündete. Am 5. September 1870 rief der Ausschuß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei die deutschen Arbeiter zu Kundgebungen gegen die Einverleibung dieser Teile Frankreichs auf. Soweit die Mitglieder des Gremiums nicht den Schutz der parlamentarischen Immunität genossen, wurden sie unter Anwendung des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand von 1851 festgenommen und in Festungshaft überführt. Am 28. November stimmten die vier sozialdemokratischen («Eisenacher») und die drei lassalleanischen Abgeordneten des Norddeutschen Reichstags sowie ein «welfischer» Abgeordneter aus Hannover gegen die Bewilligung weiterer Kriegskredite. Der von Bebel und Liebknecht eingebrachte Antrag begründete dieses Votum damit, daß der Krieg seit der Niederwerfung des französischen Kaiserreichs nicht mehr ein Verteidigungskrieg, sondern nur ein Eroberungskrieg sei, der sich gegen das französische Volk richte und auf die Annexion französischen Gebiets ziele. Nach der Schließung des Reichstags wurden Bebel und Liebknecht am 17. Dezember 1870 wegen Versuchs und Vorbereitung des Hochverrats verhaftet und erst Ende März 1871, nachdem Bebel erneut in den Reichstag gewählt worden war, aus der Haft entlassen. Kurz darauf wurde das Verfahren wegen Hoch- und Landesverrats gegen beide eingestellt. Der bekannteste bürgerliche Demokrat, der im September 1870 gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen protestierte, war der ehemalige Abgeordnete der deutschen Nationalversammlung und spätere fortschrittliche Landtagsabgeordnete Johann Jacoby aus Königsberg, der daraufhin in Festungshaft genommen wurde. Im April 1872 schloß er sich der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei an.
    Für Marx’ Warnung, ein deutscher Eroberungskrieg würde Rußland und Frankreich zusammenführen, schien im Herbst 1870 nur wenig zu sprechen. Das Zarenreich nutzte den Sturz Napoleons III., des Gegners im Krimkrieg, um, von Bismarck ermutigt, jene Klausel des Pariser Friedens von 1856 aufzukündigen, die die Souveränität Rußlands im Schwarzen Meer beschränkte. (Die Londoner Pontuskonferenz sanktionierte diese einseitige Maßnahme im März 1871.) Der Untergang des zweiten französischen Kaiserreichs kam auch dem Königreich Italien gelegen: Die Regierung kündigte die «Septemberkonvention» von 1864, durch die sich Italien gegenüber Frankreich verpflichtet hatte, auf jeden Angriff auf den verbliebenen Rest des Kirchenstaates zu verzichten, und ließ Mitte September 1870 Truppen in das päpstliche Gebiet einmarschieren. Damit endete die über tausendjährige weltliche Herrschaft der Päpste. Durch ein Plebiszit wurde am 9. Oktober der Kirchenstaat mit dem Königreich Italien vereinigt. Es folgte die Verlegung der Hauptstadt von Florenz nach Rom im Sommer 1871.
    Großbritannien bewahrte seine Neutralität im deutsch-französischen Krieg

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