Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Stimmrechts in den Counties und verdoppelte fast die Zahl der Wahlberechtigten insgesamt; sie belief sich nunmehr auf fast 5 Millionen erwachsene Männer. Zahlreiche Kleinstädte verloren ihren Sitz: Die meisten Wahlkreise waren nun in etwa gleich große Ein-Mann-Wahlkreise; nur Universitäten und Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern behielten zwei Sitze. Beim allgemeinen gleichen Wahlrecht war Großbritannien damit noch nicht angelangt, aber es war ihm einen großen Schritt näher gekommen.
Außenpolitisch trat Gladstone sehr viel mehr, als ihm lieb war, in die Fußstapfen Disraelis. Zu Beginn der achtziger Jahre war das britische Empire vor allem an einer strategisch besonders wichtigen Stelle bedroht: in Ägypten. Ismail Pascha, der Khedive oder Vizekönig von Ägypten, formal noch immer der türkischen Oberhoheit unterworfen, hatte in den Jahren nach 1874 in Fortführung der unter Mehmet Ali begonnenen Expansionspolitik den südlichen Sudan erobert, im Kampf gegen den christlichen Kaiser von äthiopien, Johannes IV., aber eine Niederlage hinnehmen müssen. Die Zerrüttung der Staatsfinanzen veranlaßte Ismail, seine Suezkanal-Aktien 1875 an Großbritannien zu verkaufen. 1876 mußte Ägypten den Staatsbankrott anmelden, was dazu führte, daß das Land unter eine umfassende britisch-französische Finanzaufsicht gestellt wurde. Als Ismael versuchte, sich dieser Kontrolle zu entziehen, wurde er von beiden Mächten abgesetzt und durch seinen Sohn Tewfik Pascha ersetzt.
Gegen diesen und die ihn stützenden westlichen Großmächte putschte 1881 das ägyptische Militär unter Führung von Oberst Arabi Pascha, in dem schon Zeitgenossen wie Gladstone den frühen Vertreter eines arabischen Nationalismus sahen. Damit waren vitale Interessen der europäischen Gläubiger Ägyptens und vieler Investoren bedroht. Da das Osmanische Reich nicht bereit war, unter der Bedingung einer europäischen Aufsicht von seinen Hoheitsrechten in Ägypten Gebrauch zu machen, und Frankreich sich, vor allem aus Furcht vor massiven deutschen Reaktionen, nicht an einer bewaffneten Intervention der beiden hauptsächlich betroffenen europäischen Mächte beteiligen wollte, entschloß sich die britische Regierung zu einem militärischen Alleingang: der Bombardierung von Alexandria, wo es zuvor zu blutigen antieuropäischen Ausschreitungen gekommen war, am 11. Juli 1882. Kurz darauf begann eine von General Wolseley geführte Militärexpedition. Im September wurden die ägyptischen Truppen bei Tel-al-Kebir geschlagen und anschließend Kairo besetzt. Die Briten setzten Tewfik Pascha wieder als Khedive ein und machten aus Ägypten ein britisches Protektorat unter der tatsächlichen Leitung des Generalkonsuls in Kairo, dessen Stellung der eines Prokonsuls in einer Provinz des Imperium Romanum glich. Die britisch-französische Finanzkontrolle über Ägypten wurde abgeschafft; an ihre Stelle trat nach langen und schwierigen Verhandlungen im März 1885 die Kontrolle durch die sechs europäischen Großmächte, zu denen jetzt neben Großbritannien, Frankreich, Rußland, Deutschland und Österreich-Ungarn auch Italien gerechnet wurde.
Durch die faktische Herrschaft über Ägypten wurde Großbritannien sogleich in die sudanesischen Verwicklungen hineingezogen. 1881 hatte sich Mohammed Ibn Saijid, ein Mitglied des fanatischen Derwischordens der Sammanija, zu dem vom Propheten Mohammed verheißenen Erleuchteten, dem Mahdi, erklärt, zum Heiligen Krieg, dem Dschihad, gegen die Ägypter aufgerufen, anschließend im Zuge des «Mahdi-Aufstands» einen großen Teil des östlichen Sudan erobert und damit begonnen, die unter ägyptischer Herrschaft abgeschaffte Sklaverei wiederherzustellen. Die Regierung Gladstone hielt es nach Lage der Dinge für unvermeidbar, die ägyptische Garnison aus Khartum, der Hauptstadt des Sudan, abzuziehen, wozu sich aber die von London abhängige Kairoer Regierung militärisch nicht in der Lage sah. Infolgedessen mußte die britische Schutzmacht selbst im Sudan tätig werden.
Die Durchführung dieser militärischen Aufgabe wurde General Charles Gordon übertragen, der drei Jahrzehnte zuvor eine Schlüsselrolle bei der Niederwerfung des Taiping-Aufstandes in China gespielt hatte. Seit 1873 im Dienst des Khediven Ismail, war er als «Gordon-Pascha» von 1877 bis 1879 Generalgouverneur des Sudan gewesen und hatte sich dort wie zuvor in Ägypten selbst als Kämpfer gegen die Sklaverei hervorgetan. Die erneute Bestellung des als extrem
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