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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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eigenwillig bekannten Gordon zum (nunmehr britisch-ägyptischen) Generalgouverneur des Sudan war eine verhängnisvolle Fehlentscheidung. Gordon dachte nicht daran, sich an Weisungen aus London zu halten, wenn er diese für falsch hielt. Nachdem der Mahdi zur Vernichtung der Ägypter und aller ihrer Helfer aufgerufen hatte, entschied sich Gordon, in Khartum zu bleiben und die Stadt gegen die Streitmacht des Mahdi zu verteidigen. Damit zwang «Gordon Pascha» die lange widerstrebende Regierung Gladstone zur Entsendung einer Armee. Die von Wolseley geführte Truppe traf am 25. Januar 1885 in der Nähe der sudanesischen Hauptstadt ein, aber sie kam zu spät. Fünf Tage zuvor war Khartum von den Verbänden des Mahdi erobert worden. Zu den Opfern des anschließenden sechsstündigen Massakers gehörte auch Gordon.
    Die britischen Konservativen und die ihnen nahestehenden «jingoistischen» Zeitungen forderten massive Vergeltung und gaben Gladstone die Schuld am Tod Gordons: Das dem liberalen Premier von seinen Bewunderern verpaßte Kürzel «GOM», das für «Grand Old Man» stand, wurde jetzt in «MOG» umgewandelt, was «Murderer of Gordon» bedeuten sollte. Selbst die Queen ließ den Premierminister in einem offenen Telegramm wissen, daß die Tragödie von Khartum durch rechtzeitiges Handeln hätte verhindert werden können. Einen von den Tories eingebrachten Tadelsantrag im Unterhaus überstand der Premierminister am 27. Februar 1885 mit der knappen Mehrheit von 14 Stimmen.
    Bevor noch eine endgültige Entscheidung über das künftige Verhalten gegenüber dem Mahdi gefallen war, wurde Großbritannien an anderer Stelle von einer anderen Großmacht herausgefordert: Das Zarenreich nutzte die Ereignisse im Sudan, um eine Kraftprobe mit England in Mittelasien zu wagen. Am 30. März 1885 besetzten russische Truppen nach überwindung heftigen örtlichen Widerstands das grenznahe afghanische Dorf Pendjeh, was in Großbritannien eine neue Welle nationaler Empörung auslöste. Gladstone sah die britische Position in Indien bedroht und ließ sich im Unterhaus einen Millionenkredit bewilligen, um mit der geballten militärischen Kraft des Empire, einschließlich der noch im Sudan operierenden Verbände, gegen die russische Aggression vorgehen zu können. Die Entscheidung für den Vorrang der britischen Interessen in Indien hatte also zur Konsequenz, daß der für strategisch weniger wichtig erachtete Sudan dem Mahdi überlassen wurde. Zur bewaffneten Auseinandersetzung mit Rußland aber kam es nicht, da St. Petersburg seine Truppen aus Pendjeh zurückzog und sich Anfang Mai bereit erklärte, das Urteil über den Zwischenfall einer internationalen Schiedskommission zuzuweisen.
    Die Entwicklungen im nordöstlichen Afrika und in Mittelasien trugen dazu bei, daß Gladstone sich eine Zeitlang nicht auf das konzentrieren konnte, was er selbst für vordringlich hielt: die Lösung der weiter schwelenden irischen Frage. Im Mai 1885 kündigte er neben der Erneuerung einiger Zwangsmaßnahmen ein Gesetz an, das es dem Staat ermöglichen sollte, Land zu kaufen und an arme irische Pächter zu verteilen. Diesem Vorhaben widersetzten sich die Radikalen um Joseph Chamberlain und Charles Dilke, die kurz zuvor mit einem anderen Plan, der Einführung von «local government» in Irland auf der Ebene der Counties, im Kabinett gescheitert waren. In der Nacht vom 8. zum 9. Juni 1885 erlitt die Regierung in einer Abstimmung über den Haushalt eine schwere Niederlage: Es gab 12 Nein-Stimmen mehr als Ja-Stimmen. Gladstone erklärte unmittelbar danach seinen Rücktritt. An die Spitze der neuen Regierung trat der Führer der Konservativen, Lord Salisbury, der sich aber nur wenige Monate im Amt behaupten konnte.
    Ende November 1885 fanden Wahlen im Unterhaus statt. Die Liberalen zogen gespalten in den Wahlkampf. Gladstone hatte ganz bewußt die Parole «Home Rule» für Irland ausgegeben und sich damit zu einem eigenen irischen Parlament und der Auflösung der 1801 geschaffenen Union zwischen Großbritannien und Irland bekannt. Die Radikalen um Chamberlain, Dilke und den Freihändler und Wahlrechtsreformer John Bright lehnten dies ab: Aus ihrer Sicht war die Union das Unterpfand für die Aufrechterhaltung des Empire. Sie verabscheuten zwar jede Form von «coercion», aber ebensosehr den Gedanken, den Iren das Recht auf nationale Selbstbestimmung zu gewähren. Fatal war für die Liberale Partei, daß Parnell, der Führer der irischen Nationalpartei, aus rein

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