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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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beginnend mit Neufundland 1855 und Kanada 1867, sich selbst regierende Dominions wurden (1901 folgte das Commonwealth of Australia, 1907 Neuseeland, 1910 die Südafrikanische Union); zweitens die Kronkolonien wie etwa Jamaika, die Bahamas, Gibraltar, Malta, Hongkong und Singapur, die von britischen Gouverneuren verwaltet wurden; drittens Britisch-Indien, das ein in sich vielfältig gegliedertes Subimperium unter der teils rechtlichen, teils faktischen Leitung einer von London eingesetzten Regierung bildete.
    Über die Gründe, die dazu führten, daß Großbritannien seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine sehr viel aktivere Empirepolitik betrieb als in den Jahrzehnten zuvor, gehen die Meinungen der Historiker auseinander. Manche bestreiten sogar, daß man von einer Zäsur in der Zeit der Kabinette Gladstone und Disraeli sprechen könne, und betonen vielmehr die Kontinuität der «Ausdehnung Englands». Tatsächlich fällt es nicht schwer, Fälle aus den sechziger Jahren zu nennen, wo das Empire auch außerhalb Indiens wuchs oder seinen Einfluß anderweitig vergrößerte. 1861 wurde die westafrikanische Hafenstadt Lagos, ein Zentrum des von den Briten bekämpften, von Arabern oder, häufiger noch, von islaminierten Schwarzafrikanern aus der ostafrikanischen Küstenregion gelenkten Sklavenhandels, zum britischen Protektorat erklärt und im Jahr darauf in eine britische Kolonie umgewandelt. 1863 führte Großbritannien einen Krieg mit den Ashanti im westafrikanischen Ghana. 1867 beantwortete London die Gefangennahme eines britischen Gesandten und anderer britischer Staatsbürger durch den Kaiser («Negus Negesti») von äthiopien, Theodorus II., mit einer bewaffneten Intervention. Sie endete damit, daß der Kaiser sich selbst tötete und 1872 einer der mächtigsten einheimischen Fürsten, Johannes, mit britischer Hilfe auf den Thron des Negus gelangte.
    Von einer systematischen Empirepolitik kann man gleichwohl in den sechziger Jahren noch nicht sprechen. Daß sich dies nach dem Wahlsieg der Tories von 1874 änderte, hing aufs engste mit dem wichtigsten Ergebnis des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, der Gründung des Deutschen Reiches, zusammen – jener «deutschen Revolution», von der Disraeli bereits im Januar 1871 im Unterhaus gesagt hatte, daß sie, unter dem Blickwinkel des europäischen Gleichgewichts betrachtet, eine noch größere Bedeutung habe als die Französische Revolution von 1789. Großbritannien war von diesem Ereignis nach der Überzeugung des damaligen konservativen Oppositionsführers mehr als jedes andere Land betroffen. Seine Stellung als Großmacht konnte es folglich nur behaupten, wenn es die Festigung und den Ausbau des Empire zur obersten Richtschnur der britischen Außenpolitik machte.
    Seeley ging 1883 noch einen Schritt weiter: «Wenn die Vereinigten Staaten und Rußland noch ein halbes Jahrhundert zusammenhalten, so werden bis dahin alte europäische Staaten wie Frankreich und Deutschland als zwergenhafte Gebilde in den Hintergrund gedrängt sein. Auch England wird es so ergehen, wenn es dann noch fortfährt, sich nur als europäisches Reich zu betrachten, als das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland aus den Zeiten Pitts.» Was man britisches Imperium nenne, sei kein künstliches Gebilde, ja nicht einmal ein Imperium im eigentlichen Sinn. «Es ist die Lebensform des großen englischen Volkes, welches über so weite Räume zerstreut ist, daß vor dem Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität die Entfernung die starken Bande des Blutes und der Religion zu sprengen drohte. Heute, wo die Entfernung überwunden ist und das Beispiel der Vereinigten Staaten und Rußlands die Möglichkeit politischer Vereinigung über so weite Flächen erwiesen hat, erhebt sich auch das Größere Britannien (im englischen Original: the Greater Britain, H.A.W.) als eine Wirklichkeit, und zwar als eine sehr lebenskräftige. Es wird eine starke politische Vereinigung werden, wenn auch nicht stärker als die Vereinigten Staaten, aber, wie wir zuversichtlich hoffen dürfen, weit stärker als die große Völkermischung von Slawen, Germanen, Turkmenen und Armeniern, von griechischen und römischen Katholiken, Protestanten, Mohammedanern und Buddhisten, die sich Rußland nennt.»
    Als 1886 der liberale Gladstone durch den konservativen Salisbury abgelöst wurde, war die imperiale Rhetorik längst kein Monopol der Tories mehr. Über den radikalen Flügel hatte sie Einzug in die

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