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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Unterkonsumtion und Überproduktion in den Metropolen als der wichtigsten Ursache von kapitalistischer Expansion in Übersee aus. Der aus einer jüdischen Wiener Familie stammende, seit 1907 als Redakteur des Parteiorgans «Vorwärts» in der SPD aktive Rudolf Hilferding sah in seinem 1910 erschienenen Werk «Das Finanzkapital» den Imperialismus charakterisiert durch eine Vorherrschaft der Banken, ja eine Verschmelzung von Banken und Industrie, und einen Staat, der stark genug war, um durch Überseeische Expansion dem immer stärker monopolisierten Kapital «Extraprofite» zu sichern. Rosa Luxemburg stellte 1913 in ihrem Buch «Die Akkumulation des Kapitals» ganz auf die innere Logik des Kapitalismus ab: Ohne die Eroberung überseeischer Märkte ließ sich die kapitalistische Produktion der Industrieländer gar nicht mehr realisieren; ständige Expansion war mithin die Existenzbedingung des Kapitalismus. Da aber die Möglichkeiten der Expansion in noch nicht industrialisierten agrarischen Regionen immer prekärer wurden, ja sich zu erschöpfen begannen, wurden politische und soziale Katastrophen unausweichlich und die Beseitigung des kapitalistischen Systems durch die Revolution der internationalen Arbeiterklasse zur historischen Notwendigkeit.
    Wie Rosa Luxemburg, so sah auch Karl Kautsky den Imperialismus dadurch gekennzeichnet, daß er danach strebte, sich immer weitere agrarische Gebiete zu unterwerfen und anzugliedern: eine These, die Lenin 1916 in seiner Schrift «Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus» als einseitig verwarf, weil der Imperialismus des Finanzkapitals bei der Neuverteilung der Erde seine Hand nach jedem beliebigen Land ausstrecke. In einem wesentlichen Punkt aber wich Kautsky in seinem im August 1914 in der «Neuen Zeit» veröffentlichten (zum größten Teil vor dem Kriegsausbruch geschriebenen, danach noch ergänzten) Aufsatz «Der Imperialismus» von Luxemburg ab. Eine Entwicklung des Kapitalismus in Richtung immer größerer Katastrophen war seiner Analyse zufolge keineswegs unabwendbar. Die nationalen Kapitalismen mußten nicht notwendigerweise gegeneinander arbeiten, sie konnten auch internationale Kartelle bilden und sich friedlich auf Kosten der rückständigen Agrarländer verständigen. «Jeder weitersehende Kapitalist muß heute seinen Genossen zurufen: Kapitalisten aller Länder, vereinigt euch!» Vom rein ökonomischen Standpunkt sei es also nicht ausgeschlossen, «daß der Kapitalismus noch eine neue Phase erlebt, die Übertragung der Kartellpolitik auf die äußere Politik, eine Phase des Ultraimperialismus, den wir natürlich ebenso energisch bekämpfen müßten wie den Imperialismus, dessen Gefahren aber in anderer Richtung lägen, nicht in der des Wettrüstens und der Gefährdung des Weltfriedens».
    Die Internationale war die stärkste, aber nicht die einzige Friedensbewegung der Jahrzehnte vor und nach 1900. 1891 fand in Rom ein erster, 1896 in Budapest ein zweiter Weltfriedenskongreß statt, beide organisiert von nationalen Friedensgesellschaften, die in mehreren Staaten aktiv waren. Experten des öffentlichen Rechts im 1873 gegründeten Institut de Droit International und der gleichzeitig entstandenen Association for the Reform and Codification of the Law of Nations, der späteren International Law Association, arbeiteten mit dem Ziel einer effektiven Friedenssicherung auf eine Fortentwicklung des Völkerrechts hin. 1898 ergriff ein Mann, von dem kaum jemand, und schon gar kein Pazifist, dies erwartet hatte, die Initiative zu einer internationalen Konferenz über Kriegsvermeidung und Festlegung von Regeln der Kriegsführung: Zar Nikolaus II. von Rußland. Was sein Außenminister Graf Murawjow in zwei Noten vom August 1898 und Januar 1899 den anderen Mächten inhaltlich vorschlug, waren Vereinbarungen über die Verminderung der Rüstungen, die Ausweitung der Genfer Konvention von 1864 über den Landkrieg auf den Seekrieg, die Ratifizierung der seit 1874 vorliegenden erweiterten Landkriegsordnung und die friedliche Beilegung von Konflikten durch Vermittlung und Schlichtung.
    Die technische und wirtschaftliche Rückständigkeit Rußlands spielte eine wesentliche Rolle beim Drängen auf eine Verrechtlichung von Krieg und Kriegsverhütung. Aber auch andere, vor allem kleinere Staaten waren an einem solchen Regelwerk interessiert, von den größeren namentlich England und die USA. An der ersten Konferenz im niederländischen Den Haag nahmen 1899 26 Staaten

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