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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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aus Europa, Amerika und Asien (bei deutlichem Übergewicht der «alten Welt») teil. Das wichtigste Ergebnis war die Haager Konvention betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 29. Juli 1899, kurz Haager Landkriegsordnung genannt. Sie regelte das Recht der Kombattanten und der Kriegsgefangenen, die Behandlung von Parlamentären und Spionen, den Schutz der Zivilbevölkerung wie das Recht der Okkupation, der Kapitulation und des Waffenstillstands.
    Besonders umstritten war die Frage, wer zu den «belligérants», den Kriegführenden, zu rechnen war. Kleinere Staaten wünschten den Kreis möglichst weit, bis hin zu Guerillakämpfern, auszudehnen. Die größeren Mächte ließen sich aber nur auf die allgemeine Formel ein, daß in den durch die Konvention nicht vorgesehenen Fällen «die Bevölkerungen und Kriegführenden unter dem Schutz und den herrschenden Grundsätzen des Völkerrechts bleiben, wie sie sich aus den unter zivilisierten Staaten geltenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens herausgebildet haben» (les populations et les belligérants restent sous la sauvegarde et sous l’Empire des principes du droit des gens, tels qu’ils résultent des usages établis entre nations civilisées, les lois de l’humanité, et des exigences de la conscience publique). ähnlich kontrovers blieb die Ausgestaltung des Rechts der Okkupation, das von den kleineren Staaten als solches bestritten wurde, womit sie sich aber nicht durchsetzen konnten.
    Die Haager Landkriegsordnung wurde auf der Zweiten Haager Konferenz 1907 in einzelnen Punkten wie der Regelung des Kriegsbeginns noch ergänzt. Über die Anwendung der Grundsätze der Genfer Konvention auf den Seekrieg hatte man sich schon 1899 verständigt; eine Seekriegsordnung aber kam erst 1909 in Gestalt der Londoner Seerechtsdeklaration zustande, die jedoch, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, noch von keinem Staat ratifiziert worden war. Stückwerk blieben auch die Absprachen über die Schlichtung von Konflikten. Rußland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten wollten hier sehr viel weiter gehen als Deutschland, Frankreich und Österreich-Ungarn. Nur mit Mühe gelang ein Scheinkompromiß: Rußland verzichtete auf die von ihm gewünschte Auflistung von obligatorischen Fällen der Schiedsgerichtsbarkeit, Deutschland fand sich mit der Schaffung eines Ständigen Schiedshofes (Cour Permanente d’Arbitrage) ab, der in Wirklichkeit aber nur den organisatorischen Rahmen für die eventuelle Berufung von Schiedsrichtern von Fall zu Fall bildete. Von einem ständigen Internationalen Gerichtshof war diese Konstruktion weit entfernt.
    In seinem 1950 erschienenen Buch «Der Nomos der Erde» hat Carl Schmitt von einer Auflösung des Jus Publicum Europaeum in den Jahren von 1890 bis 1918 gesprochen und der europäischen Völkerrechtslehre vorgeworfen, sie habe gegen Ende des 19. Jahrhunderts «ohne jedes kritische Empfinden, ja, in voller Ahnungslosigkeit … das Bewußtsein der Raumstruktur ihrer bisherigen Ordnung verloren» und «einen immer weiter, immer äußerlicher und immer oberflächlicher werdenden Universalisierungsprozeß in der naivsten Weise für einen Sieg des europäischen Völkerrechts gehalten». Tatsächlich war die Gleichsetzung von Völkerrecht und Jus Publicum Europaeum schon lange zuvor fragwürdig geworden. Seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, spätestens aber seit den Unabhängigkeitserklärungen der lateinamerikanischen Staaten in den 1820er Jahren gab es einen zweiten christlichen Völkerrechtskreis, den der westlichen Hemisphäre, und spätestens seit dem Pariser Frieden von 1856, der den Krimkrieg beendete, gehörte das Osmanische Reich, ein muslimisches Staatswesen, dem europäischen Mächtekonzert an.
    Schon auf dem Wiener Kongreß von 1815 tauchte, zunächst als Synonym der «Mächte der Christenheit» (toutes les puissances de le chrétianité), der auch in Den Haag verwandte Begriff der «zivilisierten Völker» (nations civilisées) auf, und zwar in der auf britisches Betreiben hin verabschiedeten Deklaration gegen den Sklavenhandel. Die britische Außenpolitik strebte seit den Zeiten von George Canning danach, das eigene Land zum Träger eines neuen Weltgleichgewichts zu machen, so wie es bisher schon die Hauptstütze des europäischen Gleichgewichts gewesen war. 1885 trat Siam als erstes asiatisches Land dem 1878 gegründeten Weltpostverein

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