Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Generalkommission der Freien Gewerkschaften werde der Parteivorstand der SPD keinen politischen Massenstreik ausrufen.
Die geheime Absprache gelangte bald an die Öffentlichkeit und rief auf dem linken Parteiflügel einen Sturm der Entrüstung hervor. Auf dem folgenden Parteitag, der im September 1906 in Mannheim stattfand, kam es zu einem heftigen Wortwechsel zwischen August Bebel und Carl Legien. Eine gemeinsame, von beiden vorgelegte Resolution, das sogenannte «Mannheimer Abkommen», bestätigte den Beschluß von Jena, ergänzte ihn aber durch die Feststellung, daß dieser dem Kölner Beschluß der Freien Gewerkschaften nicht widerspreche, und verpflichtete den Parteivorstand der SPD, sich mit der Generalkommission in Verbindung zu setzen, sobald er die Notwendigkeit eines politischen Massenstreiks für gegeben erachte.
In der Sache war das ein Sieg der Gewerkschaften, die, gestützt auf ihre über fast 1,7 Millionen Mitglieder, nach wie vor entschlossen waren, ihren Apparat und ihre Organisationsmacht nur für wirtschaftliche und nicht für noch so wichtige politische Zwecke einzusetzen. Die Unterlegenen von Mannheim waren nicht nur die Radikalen auf dem linken Flügel der SPD um Rosa Luxemburg, sondern auch entschiedene Revisionisten wie Eduard Bernstein. Mit politischen Streiks zur Beseitigung des preußischen Dreiklassenwahlrechts oder der Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems im Reich brauchte nach dem Parteitag von 1906 niemand mehr zu rechnen.
Im August des folgenden Jahres hielt die Internationale ihren Kongreß erstmals in Deutschland ab: in Stuttgart. Das zentrale Thema des Treffens war die Frage, wie die Arbeiterklasse den Militarismus am wirksamsten bekämpfen und einen Krieg verhindern könne. Wieder traten sich Befürworter und Gegner des Generalstreiks gegenüber: auf der einen Seite Jean Jaurès, auf der andern August Bebel. Jaurès sprach von der Notwendigkeit, die «proletarischen Kräfte zu einer unüberwindlichen Armee zusammenzufassen», um der Gefahr eines Krieges vorzubeugen. Bebel habe den Massenstreik für den Fall eines Wahlrechtsraubes angekündigt. Aber dürfe es erlaubt sein, daß das französische und das deutsche Proletariat sich im Auftrag und zum Nutzen der Kapitalisten morden, ohne daß die Sozialdemokratie eine äußerste Kraftanstrengung versucht hätte? «Wenn wir es nicht versuchten, wären wir ehrlos.»
Bebel erwiderte, die Propagierung von Massenstreik und Aufstand sei in Deutschland «unmöglich und indiskutabel». Im Kriegsfall würden sofort 6 Millionen Männer, darunter 2 Millionen Sozialdemokraten zu den Fahnen gerufen. «Wo bekämen wir da noch die Menschen für den Massenstreik her? … Vier Millionen Familien wären in höchster Not, das ist schlimmer als jeder Generalstreik. Denkt euch in die Stimmung dieser Massen.» Ein Krieg würde, weil Deutschland auf die Einfuhr von Nahrungsmitteln und die Ausfuhr seiner Industrieprodukte angewiesen sei, Arbeitslosigkeit, eine große Teuerung und Hungersnot auslösen. «Und in einer solchen Situation sollen wir uns mit Massenstreikspielereien abgeben? Bei unserem ersten Aufruf dazu würden wir ausgelacht werden.» Was Bebel nicht ausdrücklich sagte, lag doch auf der Hand: Die deutschen Sozialdemokraten wollten den Regierenden keinen Vorwand für ein neues Sozialistengesetz liefern, und nichts fürchteten sie so sehr wie den Krieg, der vielleicht der fürchterlichste von allen war: den Bürgerkrieg.
Ein von Bebel angeregter Unterausschuß der für die Vorbereitung der Resolution zuständigen Kommission legte nach intensiver Beratung schließlich einen Kompromißantrag vor, der zunächst das Unstrittige hervorhob: «Kriege liegen … im Wesen des Kapitalismus; sie werden erst aufhören, wenn die kapitalistische Wirtschaftsordnung beseitigt ist oder wenn die Größe der durch die militärtechnische Entwicklung erforderlichen Opfer an Menschen und Geld und die durch die Rüstungen hervorgerufene Empörung der Völker zur Beseitigung dieses Systems treibt.»
Die «Aktionen der Arbeiterklasse gegen den Militarismus in starre Formen zu bannen», erklärte die Internationale für unmöglich. Wohl aber sollte eine allgemeine Maxime gelten: «Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Bureaus, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der
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