Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.»
Diese allgemeinen Grundsätze, mit denen die Resolution schloß, entstammten einer von Lenin, Luxemburg und Martow gemeinsam vorgelegten Erklärung. Der Kongreß nahm die Resolution einstimmig an. Auf den ersten Blick schien es, als gebe es nach der Abstimmung weder Sieger noch Besiegte: Die Befürworter des Generalstreiks konnten darauf pochen, daß die auf Bebel zurückgehende Formel von den «am wirksamsten erscheinenden Mitteln» auch alle Arten des politischen Massenstreiks einschloß. Die Skeptiker konnten darauf verweisen, daß sie sich zu nichts verpflichtet hatten, was sie ablehnten. Tatsächlich war ein gemeinsames Vorgehen der Internationale im Kriegsfall durch die Stuttgarter Resolution von August 1907 nicht wahrscheinlicher geworden.
Mit den Fragen von Militarismus und Krieg auf das engste verbunden waren die Themen Kolonialismus und Imperialismus. Die internationalen Sozialisten waren in ihrer großen Mehrheit grundsätzlich Gegner einer kapitalistischen Ausbeutung von Kolonien, wenn auch nicht unbedingt einer Kolonisation im Dienst von Kultur und Zivilisation und damit zum Nutzen nichteuropäischer Völker. Anläßlich des Burenkrieges, auf den noch zurückzukommen sein wird, protestierten 1899 beide sozialdemokratischen Organisationen Großbritanniens, die 1881/83 von Henry Mayers Hyndman ins Leben gerufene Social Democratic Federation und die 1883 von Keir Hardie gegründete Independent Labour Party, in Massenversammlungen gegen diesen aus ihrer Sicht geradezu klassischen kapitalistischen Kolonialkrieg. Widerspruch hiergegen kam von den Fabiern: George Bernard Shaw fand, daß «ein Staat, ob groß oder klein, der die Zivilisation hemmt, zu verschwinden hat». Die beste Lösung wäre nach Meinung dieses unabhängigen Sozialisten eine Internationalisierung der südafrikanischen Goldfelder, des eigentlichen Kriegsgrundes, gewesen. Da aber ein Weltstaat noch nicht vorhanden war, sollte dort die Großmacht Großbritannien gewissermaßen treuhänderisch im allgemeinen Interesse der Zivilisation die Regierungsgewalt ausüben. In der Sache ähnlich, wenn auch ohne Bezugnahme auf den britisch-burischen Konflikt, argumentierte im gleichen Jahr Eduard Bernstein in seinen «Voraussetzungen des Sozialismus».
Die Internationale bezog, was die bisher praktizierte Kolonialpolitik anging, eine entschieden ablehnende Position. In einer vom Pariser Kongreß im September 1900 verabschiedeten Resolution hieß es, die Kolonialpolitik der Bourgeoisie habe den alleinigen Zweck, «den Profit der Kapitalistenklasse zu steigern und das kapitalistische System aufrechtzuerhalten»; sie verübe «Verbrechen und Grausamkeiten ohne Zahl an den Eingeborenen der mit Waffengewalt eroberten Kolonien» und müsse daher von der Arbeiterklasse aller Länder bekämpft werden. Der folgende Kongreß von Amsterdam billigte vier Jahre später eine von der englischen Delegation eingebrachte Entschließung zur britischen Kolonialherrschaft in Indien. Die Resolution rief nicht nur allgemein zum Sturz des kapitalistischen Kolonialsystems auf, sondern appellierte im besonderen an die Arbeiter Großbritanniens, «ihre Regierung zu zwingen, das jetzige ruchlose und entehrende Kolonialsystem aufzugeben und die leicht durchführbare Einrichtung einer Selbstverwaltung unter englischer Oberhoheit herbeizuführen». Zur Unterstützung des Antrags erhielt auch ein Vertreter Indiens das Wort: der Präsident des von ihm 1885 gegründeten Indischen Nationalkongresses, der achtzigjährige Dadhabbai Naoroji, der, als er die Rednertribüne betrat, von den Delegierten stehend und mit langanhaltendem Beifall begrüßt wurde.
Mochte die Internationale auf ihren Kongressen dem Kolonialismus auch noch so wortgewaltig den Kampf ansagen, so war sie in der Beurteilung des Imperialismus doch keineswegs einig. Wie der linksliberale John Atkinson Hobson gingen auch die marxistischen Theoretiker des Imperialismus von
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