Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
neuer Großkampfschiffe, der «Dreadnoughts», vorzuwerfen.
Zu einem nationalistischen Agitationsverband entwickelte sich auch die 1902 gegründete National Service League, die auf Grund der Erfahrungen des Burenkrieges die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht forderte. Sehr viel wirksamer war in dieser Hinsicht die 1907 von dem Kavallerieoffizier Robert Baden-Powell gegründete oder vielmehr umgegründete Bewegung der Boy Scouts, die sich scheinbar spielerisch der Wehrertüchtigung der jungen Generation widmete. Eines mächtigen Verbündeten konnten sich alle nationalistischen und imperialistischen Organisationen sicher sein: der jingoistischen Massenpresse, vor allem der Zeitungen aus dem Konzern von Lord Northcliffe, obenan der 1896 gegründeten «Daily Mail».
Wenn der Burenkrieg anfangs dem Jingoismus Auftrieb gegeben hatte, wurde er doch auch infolge seiner Dauer und der Brutalität, mit der er geführt wurde, zum auslösenden Moment einer breiten Bewegung gegen den Imperialismus, ja zum Katalysator der gesamten britischen Innenpolitik bis 1914. Die wichtigste Kraft des antiimperialistischen Lagers bildete, wenn man vom linken Flügel der Liberalen Partei einmal absah, die erstarkende britische Arbeiterbewegung. Für die Arbeiterschaft bedeutete das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine Zeit der organisatorischen Sammlung und politischen Verselbständigung. 1889 hatte die Gewerkschaft der Schiffs- und Maschinenbauer, die Amalgamated Society of Engineers, zusammen mit den Londoner Hafenarbeitern in einem fünfwöchigen Streik bessere Arbeitsbedingungen erkämpft und dadurch erstmals erfolgreich ungelernte Arbeiter für die Gewerkschaftsbewegung gewonnen. Die beteiligten Gewerkschaftsführer Tom Mann, John Burns und Ben Tillett waren überzeugte Sozialisten. Dasselbe galt für den Sekretär der schottischen Bergarbeitergewerkschaft, den ehemaligen Bergmann James Keir Hardie, der 1889 die erste sozialdemokratische Partei Großbritanniens, die Schottische Arbeiterpartei, gründete und 1892 ein liberales Unterhausmandat errang.
Im Jahr darauf rief Hardie die Independent Labour Party (ILP) ins Leben, der sich auch die ältere, 1894 von Henry Mayers Hyndman gegründete, dem Marxismus nahestehende Social Democratic Federation und die Fabian Society um Sidney und Beatrice Webb anschlossen. 1895, zwei Jahre nach ihrer Gründung, gehörten der ILP bereits 50.000 Mitglieder an. Verglichen mit den Gewerkschaften war dies freilich eine bescheidende Bilanz: Die Trade Unions übersprangen im Jahr 1900 die magische Zahl von 2 Millionen Mitgliedern.
Wenn es für die ILP ein Vorbild gab, war es die deutsche Sozialdemokratie, die bereits 1890 zur stärksten deutschen Partei aufgestiegen war und seitdem von Wahl zu Wahl an Stimmen hinzugewann. Die englische Arbeiterbewegung mußte daraus nach Hardies Überzeugung lernen, indem sie sich von ihrer Bindung an die Liberale Partei löste und sich ihre eigene Partei schuf. Die entscheidende Weichenstellung erfolgte im Februar 1900: Auf einer Konferenz in London verständigten sich die sozialdemokratischen Organisationen sowie zahlreiche Gewerkschaften und Genossenschaften auf die Berufung des Labour Representation Committee, das die Aufstellung eigener Parlamentskandidaten koordinieren sollte. Seinem ersten Sekretär Ramsay MacDonald von der ILP gelang binnen kurzem die Umwandlung des Komitees in eine Partei, die sich seit 1906 Labour Party nannte. Sie war vor allem eins: eine Föderation der sie tragenden Gewerkschaftsverbände. Die neue Partei verzichtete auf ein eigenes Programm, sie legte sich nicht auf den Marxismus und das Dogma vom Klassenkampf fest, sondern war pragmatisch und reformistisch und, wo immer zweckmäßig, zur Zusammenarbeit mit den Liberalen bereit. Bis zu den «Khakiwahlen» vom Oktober 1900 war das Ziel der flächendeckenden Kandidatenaufstellung noch nicht zu erreichen. Zweien ihrer Bewerber gelang der Einzug ins Unterhaus: Keir Hardie und Richard Bell, dem Führer der Eisenbahnergewerkschaft.
Im antiimperialistischen Sinn betätigten sich vor allem H. M. Hyndman und der ebenfalls in der Social Democratic Federation aktive ehemalige Kuhhirt und spätere Tagelöhner Harry Quelch. Beide traten auf dem Pariser Kongreß der Internationale Ende September 1900 gegen den Burenkrieg auf. Hyndman erklärte, daß er «als englischer Sozialist und Angehöriger des größten Kolonialreiches der Welt» besonderen Wert darauf lege, gemeinsam mit dem internationalen
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