Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
angelsächsischen Rasse» auf beiden Seiten des Atlantiks zum Ausdruck, eine Allianz, die sich auf gemeinsame sprachliche Grundlagen, eine gemeinsame Literatur und eine gemeinsame Rechtstradition stützen und großen Einfluß in der Welt entfalten könnte. Doch auch dieser Vorstoß war vergeblich: Als Bülow am 10. Dezember 1899 im Reichstag die zweite Flottenvorlage begründete, ging er mit keinem Wort auf eine Verständigung mit Großbritannien und den USA ein. Er forderte stattdessen volle Gegenseitigkeit und Parität zwischen Deutschland und England auch in der Flotten- und Kolonialfrage.
Etwas über ein Jahr danach kam es nochmals zu Erörterungen über ein deutsch-britisches Bündnis. Wieder bot ein Besuch Wilhelms II. Gelegenheit zu vertraulichen Gesprächen. Der Kaiser war am 20. Januar 1901 nach England gekommen, um Abschied von seiner im Sterben liegenden Großmutter zu nehmen. Am 22. Januar starb die Queen Victoria, das Symbol der nach ihr benannten Epoche, im Alter von 81 Jahren nach fast vierundsechzigjähriger Regierungszeit in Osborne auf der Isle of Wight. Drei Tage später hatte Wilhelm dort eine lange Unterredung mit dem neuen britischen Außenminister Lord Landsdowne, der dieses Amt im November 1900 von Salisbury übernommen hatte. Die Zukunft, so behauptete der Kaiser, gehöre entweder der germanischen oder der slawischen Rasse; er selbst, Wilhelm, sei die «balance of power» in Europa; England solle Frankreich für Europa zurückgewinnen, damit dieses sich gegenüber Rußland und den Vereinigten Staaten behaupten könne. Die britische Reaktion blieb kühl. London dachte nicht daran, auf das einzugehen, was Berlin von ihm erwartete: Es wollte sich nicht durch einen Anschluß an den deutsch-österreichisch-italienischen Dreibund auf eine Verteidigung der Habsburgermonarchie festlegen lassen.
Auch Chamberlain verhielt sich angesichts der deutschen Pressekampagne gegen die englische Kriegsführung in Südafrika abweisend. Im Oktober 1901 nannte er das Vorgehen der britischen Truppen gegen die Buren sehr viel anständiger als das der deutschen Truppen im Krieg mit Frankreich 1870/71 und löste damit einen Sturm der Entrüstung in Deutschland aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits Verhandlungen mit dem französischen Botschafter Paul Cambon aufgenommen, um die kolonialpolitischen Differenzen mit Paris auszuräumen und ein weitergehendes Einvernehmen beider Mächte zu ermöglichen. Er ebnete damit den Weg zum Besuch König Edwards VII., des Sohns der Queen Victoria, in Paris im Mai 1903, dem Gegenbesuch des französischen Staatspräsidenten Loubet in London im Juli desselben Jahres und dem Abschluß der Entente cordiale vom April 1904, den Chamberlain schon nicht mehr im Amt des Kolonialministers erlebte.
Mit seinem wichtigsten Ziel, «Imperial preference», kam Chamberlain indessen nicht ans Ziel. Im November 1905 gewann er sogar die Unterstützung der National Union of Conservative Associations, des Parteivorstands der Tories, für die von ihm befürwortete Zollreform. Aber damit brüskierte er Premierminister Balfour, der sich aus Rücksicht auf die Freihändler in den eigenen Reihen die Schutzzollforderungen nur halbherzig zu eigen gemacht hatte: «retaliation» (Vergeltung) hieß seine Kompromißformel; Großbritannien solle unfairen Wettbewerb mit höheren Einfuhrzöllen beantworten können. Am 4. Dezember 1905 trat Balfour zurück. Er hätte auch das Unterhaus auflösen können, dessen Neuwahl spätestens 1907 fällig war. Aber eine Chance, als Sieger aus der Wahl hervorzugehen, hatten die uneinigen Unionisten nach Lage der Dinge nicht. Das geringere Risiko schien Balfour darin zu bestehen, ein liberales Minderheitskabinett an die Macht kommen zu lassen, das dann bis zur Neuwahl möglicherweise an inneren Rivalitäten zerbrechen würde. Edward VII. tat, was er unter den gegebenen Umständen tun mußte: Er ernannte den Vorsitzenden der Liberalen Partei, Sir Henry Campbell-Bannerman, zum Premierminister. Dieser löste, nachdem er sein Kabinett gebildet hatte, sogleich das Unterhaus auf.
Der neuen Regierung gehörten drei prominente «liberal Imperialists» an: Außenminister Sir Edward Grey, Schatzkanzler Herbert Henry Asquith und Kriegsminister Richard Burdon, seit 1911 Viscount Haldane of Cloan. Zu den burenfreundlichen «Little Englanders» zählten Lord Chancellor Sir Robert Reid, jetzt Lord Loreburn, Handelsminister (President of the Board of Trade) David Lloyd George aus Wales und als
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