Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Präsidenten von Transvaal, Paulus («Ohm») Krüger, anläßlich des raschen Erfolges seiner Truppen ein Glückwunschtelegramm, die berüchtigte «Krüger-Depesche», zu schicken, in der er besonders hervorhob, daß Transvaal seine Unabhängigkeit habe bewahren können, ohne an die Hilfe befreundeter Mächte zu appellieren. Die britische Presse reagierte empört. Als einige Monate danach eine interfraktionelle Kommission des Unterhauses, der auch Chamberlain angehörte, die Vorgänge um den «Jameson Raid» untersuchte, hielt ihr die Regierung der Kapkolonie auf Verlangen von Premierminister Salisbury die Telegramme vor, die die aktive Rolle des Kolonialministers belegten. Der inzwischen Sechzigjährige konnte im Amt verbleiben.
In Südafrika war Großbritannien in Gestalt der «Krüger-Depesche» mit deutschen Ambitionen zusammengestoßen. Von härterer Art war drei Jahre später die Kollision mit einer anderen Großmacht am oberen Nil. Seit 1887 hatte Frankreich vom Senegal aus sein Kolonialreich in Mittelafrika ausgeweitet. 1898 begann eine Offensive vom Niger aus zum Tschadsee, und im gleichen Jahr erreichte eine Expedition unter Hauptmann Jean-Baptiste Marchand den oberen Nil, wo sie im September bei Faschoda auf eine zahlenmäßig weit überlegene britische Armee unter Lord Kitchener traf, die kurz zuvor die Anhänger des (1885 verstorbenen) Mahdi geschlagen hatte und nun dabei war, den ganzen östlichen Sudan der britischen oder, genauer, der britisch-ägyptischen Herrschaft zu unterwerfen. Marchands Truppen zogen sich, nachdem sie einige Wochen lang der britischen Streitmacht Gewehr bei Fuß gegenüber gestanden hatten, zurück. Im März 1899 verständigten sich Großbritannien und Frankreich im Sudanvertrag auf eine verbindliche Grenzziehung zwischen dem anglo-ägyptischen Kondominium im Sudan und Französisch-Äquatorialafrika analog derjenigen, die sie im Juni 1898 im Hinblick auf die Grenzen zwischen den britischen Besitzungen an der Goldküste und im nördlichen Nigeria auf der einen, dem französischen Kolonialreich auf der anderen vereinbart hatten.
Damit war Großbritannien der Erfüllung des alten Traums einer Landbrücke «vom Kap bis Kairo» sehr nahe gekommen; nur Deutsch-Ostafrika trennte jetzt noch die von England kontrollierten Landmassen nördlich und südlich davon. In Südafrika hatte 1897 ein enger Vertrauter Chamberlains, Alfred Milner, das Amt des Hohen Kommissars übernommen; im Jahr darauf wurde Paulus Krüger zum vierten Mal ins Amt des Präsidenten von Transvaal gewählt; ins gleiche Jahr 1898 fiel ein Vertrag, in dem das Deutsche Reich ganz Südafrika als britisches Einflußgebiet anerkannte (und sich mit Großbritannien auf eine Aufteilung des portugiesischen Kolonialreichs für den Fall verständigte, daß dieses zusammenbrechen sollte). Milner war von Anfang an entschlossen, Transvaal mit Waffengewalt zu annektieren; als Vorwand zur Auslösung eines Krieges erschien ihm die fehlende politische Gleichberechtigung der britischen «Uitlanders» geeignet. Die Regierung in London fürchtete einen wachsenden politischen Einfluß der wirtschaftlich starken Republik Transvaal auf das übrige Südafrika und schwenkte deshalb auf Milners Kriegskurs ein.
Großbritannien erwartete einen kurzen Feldzug, aber das war eine Fehlkalkulation: Der Burenkrieg, der 1899 begann und bis 1902 dauerte, wurde für England zum längsten und kostspieligsten Krieg zwischen der Niederlage Napoleons im Jahre 1815 und dem Ersten Weltkrieg. Er kostete dreimal so viel wie der Krimkrieg und erforderte viermal so viele Truppen wie dieser. Auf der britischen Seite, auf der auch Freiwillige aus Kanada, Australien und Neuseeland kämpften, fielen 22.000 Soldaten; von den Buren verloren 34.000, Kämpfer und Zivilisten zusammengenommen, ihr Leben. Die Zahl der schwarzen Opfer wird auf mindestens 14.000 geschätzt, darunter viele, die auf britischer Seite an den Kämpfen teilnahmen. In den ersten Monaten des Krieges waren die Buren erfolgreich; dann wendete sich das Blatt, und nach einer Reihe von Siegen konnten die Briten im September 1900 sowohl Transvaal als auch den Oranje-Freistaat annektieren.
Das war aber noch keineswegs das Ende der Kampfhandlungen. Was im Herbst 1900 begann, war der erste antikoloniale Guerillakrieg des 20. Jahrhunderts (wenn man nicht den Kampf der Filipinos gegen die Amerikaner, der schon 1898 begonnen hatte, mit diesem Namen belegen will). Die britische Armee betrieb eine Politik der
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