Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Proletariat gegen die Kolonialpolitik der Großmächte zu protestieren; Englands Krieg gegen Transvaal erfülle «uns englische Sozialisten mit Trauer und Scham». Quelch legte den Delegierten «zur Ehre Englands» dar, daß «trotz aller systematischen Korruptionsversuche der Kapitalisten Englands» es nicht gelungen sei, auch nur einen einzigen organisierten englischen Arbeiter, geschweige denn eine Arbeiterorganisation zu einer Zustimmungserklärung für den Krieg zu bewegen. «Die Arbeiter haben ihren Schild rein erhalten.»
Die Fabier rechnete Quelch offensichtlich nicht zur Arbeiterbewegung: Die Webbs sprachen sich, nachdem der linke Flügel unter Ramsay MacDonald die Organisation im Februar 1900 verlassen hatte, im August 1900 erstmals öffentlich für das militärische Vorgehen gegen die Burenrepubliken aus. Quelchs eigene Gruppe, die Social Democratic Federation, zog sich 1901 aus dem Labour Representation Committee zurück, weil sie an diesem ein klares ideologisches Profil vermißte. Damit schied die einzige strikt internationalistische Gruppierung aus der werdenden Labour Party aus. An ihrer Gegnerschaft zu Imperialismus und Militarismus ließ die junge Arbeiterpartei aber auch danach keinen Zweifel.
Die politische Emanzipation der Arbeiterschaft beunruhigte nicht nur die Liberalen, die ihre Stimmen gepachtet zu haben meinten, sondern auch die Konservativen, die sich seit Disraelis Zeiten darum bemühten, als die wahren Sachwalter der Interessen der Unterschicht anerkannt zu werden. Die Wahlrechtsreformen von 1867 und 1884/85 waren Versuche der beiden großen Parteien, die Arbeiter an sich zu binden, und nach den Tories hatte auch ein Teil der Liberalen, der «radikale» Flügel um Joseph Chamberlain, der sich 1886 von der Partei Gladstones trennte, im Stolz auf das Empire ein Mittel erkannt, das geeignet schien, dem britischen Patriotismus ein breites soziales Fundament zu verschaffen. Chamberlain hielt die Ausdehnung des Empire für notwendig, um der englischen Industrie hinlängliche Überseeische Arbeitsmöglichkeiten und der britischen Arbeiterschaft eine ausreichende Beschäftigung zu sichern. Kurz nach den «Khakiwahlen» beantwortete er Ende Oktober 1900 auf einer Veranstaltung der Gesellschaft der Fischhändler in London die selbstgestellte Frage, was Großbritannien ohne das Empire wäre, wie folgt: «Zwei übervölkerte Inseln in der Nordsee». ähnlich prägnant war die Antwort auf die anschließende Frage, was die britischen Kolonien ohne das Mutterland wären: «Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Bruchstücke – Nationen ja, aber ohne die Fülle des nationalen Lebens, ohne den Zusammenhalt, der sie in die Lage versetzt, der ganzen Welt ins Auge zu sehen.»
Um sich gegenüber seinen Rivalen, nämlich Deutschland, Rußland und den Vereinigten Staaten, zu behaupten und nicht auf einen minderen Rang abzusinken, bedurfte Großbritannien also des Empire, und wenn dieses nicht in seine Teile zerfallen sollte, mußte es seinen Zusammenhalt festigen, am besten durch die Schaffung einer Föderation mit gemeinsamer Verteidigung und einem Imperial Council in London an der Spitze, mindestens aber durch den Ausbau zu einer Zollunion, wie sie schon Charles Dilke, der Autor von «Greater Britain», und die 1884 gegründete Imperial Federation League ins Gespräch gebracht hatten. Chamberlains Vorbild war der Deutsche Zollverein von 1834, aus dem 1871 das Deutsche Reich hervorgegangen war. Solange der in wirtschaftlicher Hinsicht liberale Lord Salisbury Premierminister war, hatte der Kolonialminister keine Chance, «Imperial preference», also Reichsvorzugszölle, zu einem Projekt der britischen Politik zu erheben. Im Juli 1902 aber übergab der zweiundsiebzigjährige Salisbury sein Amt an den bisherigen Schatzkanzler Arthur James Balfour, der kein eingeschworener Freihändler war. Im gleichen Monat trat in London eine Kolonialkonferenz zusammen, die zwar Chamberlains Vorschlag eines ständigen «Imperial Council» und damit jedweden föderationsähnlichen Zusammenschluß des Empire verwarf, Vorzugszölle für das Empire aber befürwortete.
Der entschiedenste Widersacher von «Imperial preference» war der neue Schatzkanzler Charles Thomson Ritchie. Der Machtkampf zwischen ihm und Chamberlain führte zu einer schweren Regierungskrise: Im September 1903 trat der Kolonialminister, um unbehindert von der Kabinettsdisziplin für die Reichszölle kämpfen zu können, zurück; Ritchie wurde entlassen und durch
Weitere Kostenlose Bücher