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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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näher. Schwarze, die nach 1917 in der Industrie Beschäftigung gefunden hatten, wurden seit Ende 1918 rasch durch zurückgekehrte weiße Veteranen ersetzt. Daß schwarze Arbeiter meist sehr viel weniger verdienten als weiße, machte sie in den Augen der letzteren zu Lohndrückern: ein wichtiger Grund zunehmender Ressentiments gegenüber der farbigen Minderheit. Die Zahl der gelynchtenSchwarzen stieg von 48 im Jahr 1917 auf 63 im Jahr 1918 und 78 im Jahr 1919. In Chicago, wo es bereits im Frühjahr 1919 mehrere Bombenanschläge in schwarzen Wohngegenden gegeben hatte, entluden sich die Spannungen zwischen den Rassen im Juli in bürgerkriegsähnlichen Unruhen. Es gab 537 Verletzte und 38 Tote, die meisten von ihnen Schwarze. Insgesamt starben bei Rassenkrawallen im Sommer 1919.120 Menschen.
    Die größte Interessenvertretung der farbigen Amerikaner, die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), zog aus der Eskalation der Gewalt den Schluß, daß die Schwarzen sich nicht länger mit dem Ruf nach Schutz durch die Behörden begnügen durften, sondern zur Selbstverteidigung gegenüber dem weißen Mob schreiten mußten. Radikale Schwarze um den gebürtigen Jamaikaner Marcus Garvey gingen weiter und propagierten den Bruch mit der weißen Gesellschaft und die Rückkehr nach Afrika. Einige Jahre später setzte in New York die «Harlem Renaissance» ein: eine Bewegung von schwarzen Schriftstellern und Künstlern, die das Selbstbewußtsein der farbigen Minderheit durch Rückbesinnung auf ihre afrikanischen Wurzeln und ihre kulturelle Identität als schwarze Amerikaner zu heben versuchte.
    Im April 1919 wurde die amerikanische Öffentlichkeit durch eine Reihe von Bombenpäckchen aufgeschreckt, die an prominente Wirtschaftsführer und Politiker adressiert waren, von denen die Post aber, mit einer Ausnahme, alle abfangen konnte, ehe sie die Empfänger erreichten. (In dem einen Fall, wo dies nicht gelang, wurden der Hausangestellten eines Senators beim Öffnen des Päckchens beide Hände abgerissen.) Nicht mehr rechtzeitig entschärft werden konnten die Bomben, die am 2. Juni in acht Städten nahezu gleichzeitig explodierten; eine von ihnen richtete an der Fassade des Hauses von Wilsons Justizminister A. Mitchell Palmer erhebliche Schäden an. In der Presse war sofort von einer großangelegten, weitverzweigten, von der Kommunistischen Internationale in Moskau gesteuerten Verschwörung gegen die politische und gesellschaftliche Ordnung der USA die Rede. Die meisten Einzelstaaten beantworteten den «Red Scare» mit Anti-Aufruhr-Gesetzen; in zahlreichen Städten, Schulen und Universitäten kam es zu politischen Säuberungsaktionen gegen vermeintliche oder tatsächliche Revolutionäre.
    Justizminister Palmer reagierte auf den «Red Scare» mit äußersterHärte. Anfang November 1919 ließ er 250 Mitglieder einer «Union of Russian Workers» festnehmen und auf dem Seeweg über Finnland nach Sowjetrußland deportieren. Im Januar 1920 holte Palmer, unterstützt von seinem jungen Mitarbeiter J. Edgar Hoover, zum entscheidenden Schlag aus: Über 6000 «Radikale», darunter Streikagitatoren, Mitglieder von zwei kleinen kommunistischen Parteien und Anarchisten, wurden vom neugegründeten Federal Bureau of Investigation (FBI) festgenommen und verhört. Etwa 500 verdächtige Ausländer wurden, obwohl den meisten weder eine extreme Gesinnung noch Straftaten nachzuweisen waren, ausgewiesen, rund 250 aus dem einstigen Zarenreich stammende Personen nach Sowjetrußland deportiert.
    Die «Palmer Raids» fanden in der Öffentlichkeit zunächst viel Beifall; nur vereinzelt protestierten Liberale und Linke gegen die krasse Verletzung der bürgerlichen Freiheitsrechte. Zu den bekanntesten Opfern des Generalverdachts gegen linke «Aliens» wurden zwei italienische Einwanderer, der Schuhmacher Nicola Sacco und der Fischverkäufer Bartolomeo Vanzetti, die aus ihren anarchistischen Neigungen keinen Hehl machten. Im Mai 1920 wurden sie wegen gemeinschaftlich begangenen Raubmordes an dem Zahlmeister einer Schuhfabrik in Braintree, Massachusetts, angeklagt und am 14. Juli 1921 auf Grund höchst zweifelhafter Indizien zum Tode verurteilt. Liberale, Sozialisten und Kommunisten organisierten daraufhin weltweite, von vielen prominenten Intellektuellen, darunter George Bernard Shaw, H. G. Wells und Albert Einstein, unterstützte Solidaritätsaktionen, die aber nur einen Aufschub der Urteilsvollstreckung bewirkten. Am

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