Geschichte des Westens
Bis zum Ausschluß der Anhänger Leo Trotzkis im Jahre 1928 wurde die CPA von heftigen «Fraktionskämpfen» erschüttert. Auch danach kam sie über den Status einer Splittergruppe nicht hinaus: 1929 zählte sie weniger als 10.000 Mitglieder. Einzig die Bombenanschläge der Anarchisten und die Sympathien, die es bei den IWW anfänglich für die Sache der Bolschewiki gab, ließen 1919/20 den Anschein einer revolutionären Bedrohung aufkommen.
Die Socialist Party lehnte die gewaltsamen Methoden der Bolschewiki strikt ab, blieb aber ebenfalls eine Randerscheinung. Den Höhepunkt ihres Rückhalts in der Wählerschaft erreichte sie bei den Präsidentschaftswahlen von 1920 mit fast einer Million Stimmen, die auf ihren zu dieser Zeit noch inhaftierten Vorsitzenden Eugene V. Debs entfielen. Die große Mehrheit der amerikanischen Arbeiter war nach wie vor für eine grundlegende Veränderung der überkommenen kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht zu gewinnen. Was sie erstrebten, waren höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten, wie sie die AFL forderte, also «bread and butter» und keine Vergesellschaftung der Produktionsmittel.
Die Art und Weise, wie große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit auf die kommunistische Herausforderung reagierten, hatte Gründe, die tief in die Geschichte zurückreichten. In keinem großflächigen Land war die Demokratie so fest in der Alltagskultur verwurzelt wie in den USA; nirgendwo wurde das private Eigentum so «heilig» gehalten wie hier. Ein System, das im Namen der «Diktatur des Proletariats» eine völlig neue, auf das Gemeineigentum gegründete Gesellschaft errichten wollte, war die denkbar radikalste Kampfansage an den «American way of life». Mehr noch: Ein solches System schien die von Gott gewollte Ordnung der weltlichen Dinge von Grundauf in Frage zu stellen. Der militante Atheismus der Bolschewiki machte diese und ihre Gefolgsleute außerhalb der russischen Grenzen für die christliche Rechte zu einer modernen Erscheinungsform des Antichrist. Unter den entschiedenen Antikommunisten waren denn auch nicht zufällig evangelikale Fundamentalisten besonders zahlreich vertreten.
Man mußte freilich kein Kommunist oder Sozialist sein, um die geballte Feindschaft dieser tief religiösen Minderheit auf sich zu ziehen. Dafür reichten öffentlich geäußerte Zweifel am Wahrheitsgehalt der biblischen Schöpfungsgeschichte völlig aus, gleichviel ob diese von liberalen Theologen oder von Anhängern der Evolutionslehre von Charles Darwin geäußert wurden. In Tennessee errangen die Fundamentalisten Mitte der zwanziger Jahre einen spektakulären Erfolg im Kampf gegen diese vermeintliche Irrlehre: Im März 1925 wurde dort ein Gesetz verabschiedet, das es Lehrern verbot, im Unterricht eine andere als die biblische Deutung der Schöpfung vorzutragen. Die Kampfansage an Aufklärung und freies Denken rief die 1917 gegründete American Civil Liberties Union auf den Plan. Sie ermunterte einen jungen Biologielehrer aus Dayton, John T. Scopes, der sich an das Gesetz nicht halten wollte, zu einem Musterprozeß, bei dem sie die Verteidiger, darunter den berühmten Anwalt Clarence Darrow, stellte und die Kosten des Verfahrens übernahm. Die Sache des Staates Tennessee und damit der Fundamentalisten vertrat der mehrmalige, erst demokratische, dann progressive Präsidentschaftskandidat William Jennings Bryan.
Am Ende wurde der inzwischen aus dem Schuldienst entlassene Scopes zu einer Geldstrafe von 100 Dollar verurteilt (die ihm wegen eines Formfehlers später von einem höheren Gericht erlassen wurde). Der im ganzen Lande, ja weit über Amerika hinaus mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Schlagabtausch zwischen Darrow und Bryan aber ging eindeutig zugunsten des ersteren aus. Auch wenn sich in der Folgezeit noch weitere Südstaaten dem Beispiel von Tennessee anschlossen, hatten die Fürsprecher der Meinungsfreiheit mit dem Scopes-Prozeß einen wichtigen moralischen Sieg errungen und die Fundamentalisten in die Defensive gedrängt.
In der Entwicklung des gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Klimas im Nachkriegsamerika schlugen sich auch die jeweiligen materiellen Verhältnisse nieder. Die sozialen Unruhen des Jahres1919 trugen den Stempel der Geldentwertung, die in mehr oder minder großem Umfang alle Länder heimsuchte, die sich am Krieg beteiligt und zum Zweck der Kriegsfinanzierung verschuldet hatten. Die Inflation wirkte zunächst konjunkturbelebend, Ende 1920 aber brach
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