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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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erhielt die Provinzen Ruanda und Burundi; das Kionga-Dreieck ging an Portugiesisch-Ostafrika, das heutige Mozambique. Deutsch-Südwestafrika wurde auf Drängen von Smuts der Kategorie C zugeordnet, bei der die Unabhängigkeit in noch weiterer Ferne lag als bei der Kategorie B, und der Südafrikanischen Union übertragen, die dort fortan dieselbe Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung betrieb wie in ihrem eigentlichen Staatsgebiet. Der Kategorie C wurden auch die deutschen Kolonien in Polynesien zugeschlagen. Soweit sie südlich des Äquators lagen, wurden die Dominions Australien und Neuseeland als Mandatare bestellt; soweit sie nördlich davon lagen, fielen sie an Japan. Das fernöstliche Kaiserreich erhielt auch die früheren deutschen Rechte in China, allerdings mit der Auflage, Kiautschou später an China zurückzugeben. Das geschah als Folge einer von den USA angeregten internationalen Abrüstungskonferenz, die von November 1921 bis Februar 1922 in Washington stattfand. Dort akzeptierte Japan nicht nur eine Begrenzung seiner Flottenstärke (in einem Verhältnis von 5 zu 5 zu 3, bezogen auf die Kapazitäten der USA, Großbritanniens und Japans), es erkannte auch die Unabhängigkeit Chinas an und verpflichtete sich ihm gegenüber zu einer «Politik der offenen Tür» – aus Sicht japanischer Nationalisten und vieler Militärs ein demütigendes Zugeständnis an die Westmächte.
    Was der Völkerbund im Hinblick auf die ehemaligen Kolonien und die arabischen Gebiete des einstigen Osmanischen Reiches tat, bedeutete keinen Bruch mit der bisherigen Praxis des Kolonialismus und Imperialismus. Von den Mandatsgebieten des Nahen Ostens abgesehen, hatten die «neuen» Kolonien kaum bessere Chancen, in die Unabhängigkeit entlassen zu werden, als die «alten» Kolonien der Siegermächte und der Neutralen. Durch die relative Privilegierung der Mandate der Kategorie A und die Diskriminierung aller übrigen Kolonien förderten die europäischen Kolonialmächte ungewollt das Unabhängigkeitsstreben in
allen
von ihnen abhängigen Gebieten, und zwar am meisten dort, wo, wie in Indien und Ägypten, der Nationalismus schon vor 1914 starken Zuspruch gefunden hatte.
    Ägypten erlebte 1919 revolutionäre, von der nationalistischen Wafd-Partei geschürte Unruhen, ausgelöst durch die Weigerung Großbritanniens, eine ägyptische Abordnung («wafd») an der Pariser Friedenskonferenz teilnehmen zu lassen. Im Jahr darauf erfaßten die anti-kolonialistischen Unruhen auch die Mandatsgebiete des Nahen Ostens: In Syrien und Irak protestierten die Araber gegen die Verhinderung eines größeren beziehungsweise eines gesamtarabischen Staates durch Großbritannien, Frankreich und den Völkerbund, in Palästina gegen das Projekt einer nationalen Heimatstatt für die Juden, auf das sich die britische Politik durch die Balfour-Deklaration vom November 1917 festgelegt hatte. 1921 begann ein Aufstand der Rifkabylen erst in Spanisch-, dann auch in Französisch-Marokko, der endgültig erst 1926 niedergeschlagen werden konnte.
    In Indien, das während des Ersten Weltkrieges einen großen Anteil an den Armeen des Empire gehabt hatte, kam es ein halbes Jahr nach Kriegsende zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Kolonialmacht und der Bevölkerung. In Amritsar schossen im April 1919 Gurkha-Truppen unter dem Befehl eines britischen Generals auf eine unbewaffnete Menge, die ungeachtet eines offiziellen Verbots gegen repressive Notstandsgesetze, die nach ihrem Urheber, einem britischen Richter, benannten Rowlatt-Gesetze, protestierten; es gab 379 Tote und etwa 1200 Verletzte. Die Vorgänge von Amritsar und anderen Orten des Panjab, wo sogar Flugzeuge und Maschinengewehre gegen die Bevölkerung eingesetzt wurden, erschütterten Indien zutiefst. Die Unabhängigkeitsbewegung radikalisierte sich, und seit 1920 auch ihr bis dahin gemäßigter Wortführer Mahatma Gandhi. Die britische Herrschaft war so bedroht wie niemals zuvor seit dem Aufstand von 1857/58 – ein Warnsignal an alle, die glaubten, mit der imperialistischen Politik in Asien und Afrika nach 1918 so weitermachen zu können, als ob es den Ersten Weltkrieg gar nicht gegeben hätte.
    Im August 1914, als der Krieg begann, hatte der englische Schriftsteller Herbert George Wells, ein Mitglied der sozialdemokratisch orientierten Fabian Society, von einem «War That Will End War» gesprochen und damit, ohne es zu wissen, eine Parole des deutschen Linkshegelianers Arnold Ruge aufgegriffen, der am

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