Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Renaissance und der Reformation über die Aufklärung und die «bürgerlichen» Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts bis hin zum klassischen Liberalismus nicht ernsthaft erschüttert worden; es gab in Rußland kein Bürgertum im europäischen Sinn, dafür das Millionenheer landarmer und landhungriger Bauern, die erst in den 1860er Jahren aus der Leibeigenschaft entlassen worden waren; ein brutaler Polizeistaat hatte die frühe Arbeiterbewegung in den Untergrund gedrängt und dadurch die Organisationsform des geheimen Verschwörerbundes begünstigt.
    Die Partei der Bolschewiki war ein Ausdruck extremer wirtschaftlicher und politischer Rückständigkeit. Sich von einer solchen Partei Denkweise und Kampfformen vorschreiben zu lassen war vor 1917 im Westen keinem Sozialisten in den Sinn gekommen, und die russischen Führer hatten noch 1919 als selbstverständlich angenommen, daß das Zentrum der Weltrevolution sich westwärts, nach Deutschland, verlagern würde, sobald dort das Proletariat die Macht ergriffen hatte. Erst die Niederlage der revolutionären Bewegungen außerhalb Rußlands und die eigene Selbstbehauptung gegenüber einer Welt von Feinden ließen die Bolschewiki 1920 zu der Ansicht gelangen, daß es nur
einen
Weg zur proletarischen Revolution gab: denjenigen, den
sie
eingeschlagen hatten.
    Am Streit um die Annahme oder Ablehnung der 21 Bedingungen zerbrachen mehrere Arbeiterparteien des Westens. Die erste dieser Parteien war die USPD. Die meisten ihrer Funktionäre und Zeitungen waren entschieden gegen die Unterwerfung unter das Moskauer Diktat, bei den Mitgliedern aber sah es anders aus. Die Entscheidung fiel bereits bei der Urwahl der Delegierten zu dem Parteitag, der im Oktober 1920 in Halle stattfand. Gewählt wurden die Delegierten beiderLager in Mitgliederversammlungen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl; sie gingen mit einem imperativen Mandat nach Halle. Auf die Liste der Befürworter der 21 Bedingungen entfielen knapp 58, auf die der Gegner 42 Prozent. Ihre Mehrheit verdankten die ersteren vor allem Arbeitern, die nicht in die sozialdemokratische Tradition hineingeboren, sondern erst in Krieg und Nachkriegszeit politisiert worden waren.
    Auf dem Parteitag erlebten die Delegierten eine dramatische Auseinandersetzung zwischen Grigorij Sinowjew und Rudolf Hilferding und eine bewegende Anklagerede eines der angesehensten Führer der verfolgten Menschewiki, Julius Martow, gegen den blutigen Terror der Bolschewiki. Der Ausgang der Abstimmung aber stand schon vorher fest: Es wurden 236 Stimmen für und 156 Stimmen gegen die Annahme der 21 Bedingungen gezählt. Im Dezember 1920 schloß sich die linke Mehrheit mit der KPD auf einem gemeinsamen Parteitag in Berlin zur Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands zusammen. Die unterlegene Minderheit blieb zunächst eine selbständige Partei, die ihren bisherigen Namen behielt.
    Bei der linken Mehrheit der französischen Sozialisten stießen die 21 Bedingungen auf weniger vorbehaltlose Zustimmung als beim linken Flügel der USPD. Der Generalsekretär der Partei, Ludovic-Oscar Frossard, und der Chefredakteur der Parteizeitung «Humanité», Marcel Cachin, die am Zweiten Weltkongreß teilgenommen hatten, weigerten sich auf dem Parteitag in Tours im Dezember 1920 zunächst, Vertreter der widerstrebenden Minderheit, darunter «Zentristen» wie Jean Longuet und Paul Faure, auszuschließen. Ein Telegramm, das Lenin, Sinowjew und andere Mitglieder des EKKI unterzeichnet hatten, machte den Delegierten dann aber klar, daß Moskau einen solchen Verstoß gegen den Beschluß der Komintern nicht hinnehmen würde. Mit der klaren Mehrheit von 3028 gegen 1022 von den Delegierten vertretenen Stimmen wurde der Anschluß an die Kommunistische Internationale beschlossen. Der Parti Communiste (Section Française de l’Internationale Communiste) zählte etwa 140.000, die SFIO um Longuet nur noch 30.000 Mitglieder. In den folgenden Jahren kehrten sich die Mehrheitsverhältnisse aber um: Die SFIO zählte 1924 fast 100.000, der PC noch 68.000 Stimmen. Bei den Parlamentswahlen vom Mai 1924 erwiesen sich die Sozialisten ebenfalls als die stärkere Partei: Sie erhielten fast 1,7 Millionen, die Kommunisten nur 800.000 Stimmen.
    Ein gutes halbes Jahr nach der Spaltung der alten Sozialistischen Partei mußte auch die Confédération Générale du Travail (CGT), die Dachorganisation der sozialistischen Gewerkschaften, über ihren künftigen Weg entscheiden. Auf ihrem

Weitere Kostenlose Bücher