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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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von der Mehrheit unter Serrati gegen den Widerstand der Reformisten um Turati und Treves erfolgt, die aber in der Partei verblieben. Die französischen Sozialisten hatten sich auf ihrem Straßburger Parteitag Ende Februar 1920 zwar gegen den Beitritt zur Kommunistischen Internationale ausgesprochen, aber ihre Übereinstimmung mit deren grundlegenden Prinzipien, namentlich mit der Diktatur des Proletariats, zum Ausdruck gebracht und die Verbindung zur Zweiten Internationale abgebrochen. Die USPD hatte sich auf ihrem Berliner Parteitag im März 1919 zum Rätesystem, zur Diktatur des Proletariats und zum kompromißlosen Klassenkampf bekannt, war aber tief in Sympathisanten und Gegner des Bolschewismus gespalten.
    Lenins theoretische Vorbereitung des Zweiten Weltkongresses war die im April und Mai 1920 verfaßte Schrift «Der ‹linke Radikalismus›, die Kinderkrankheit im Kommunismus». Sie war nicht nur eine scharfe Abrechnung mit putschistischen, syndikalistischen und prinzipiell antiparlamentarischen Abweichungen von der richtigen, der marxistischen Auffassung, sondern zugleich ein Manifest, in dem er für die Lehren der bolschewistischen Revolution den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhob. Eine Kernthese lautete: «Die Erfahrungen der siegreichen Diktatur des Proletariats in Rußland haben denen, die nicht zu denkenverstehen und nicht in die Lage kamen, sich über diese Frage Gedanken zu machen, deutlich gezeigt, daß unbedingte Zentralisation und strengste Disziplin des Proletariats eine der Hauptbedingungen für den Sieg über die Bourgeoisie sind.»
    Die konkrete Nutzanwendung dieser Doktrin waren die zum größten Teil von Sinowjew formulierten «21 Bedingungen» für die Aufnahme in die Komintern, die der Kongreß am 6. August mit allen gegen zwei Stimmen verabschiedete. Sie sahen die straffe Unterordnung aller Mitgliedsparteien unter die Beschlüsse von Kongreß und Exekutivkomitee der Dritten Internationale vor. Die Kommunistischen Parteien (auch dieser Name wurde jetzt obligatorisch) übernahmen das sowjetische Prinzip des «demokratischen Zentralismus»: Die Weisungen des «mit der Fülle der Macht, Autorität und den weitestgehenden Befugnissen ausgestatteten Parteienzentrums» mußten mit «eiserner Disziplin» befolgt werden. Regelmäßige Säuberungen der Parteiorganisationen sollten ideologische Abweichungen verhindern. An die Stelle «reformistischer» Politiker und gemäßigter Linkssozialisten, der sogenannten «Zentrumsleute», hatten überall «bewährte Kommunisten» zu treten. Neben dem legalen Parteiapparat war, zwecks Vorbereitung der Revolution, eine illegale Parallelorganisation aufzubauen. «Notorische Opportunisten» wie Kautsky und Hilferding oder die sozialistischen Parteiführer Turati, Longuet und MacDonald durften keiner Mitgliederpartei angehören. Gegen die reformistischen Gewerkschaften war ein «hartnäckiger Kampf» zu führen. Propaganda und Agitation mußten dem Programm der Kommunistischen Internationale entsprechen. Folglich bedurften neue oder abgeänderte Parteiprogramme der Bestätigung durch den Kongreß oder das Exekutivkomitee der Komintern.
    Das Exekutivkomitee, abgekürzt EKKI, war den vom Zweiten Kongreß verabschiedeten Statuten zufolge das leitende Organ der Komintern zwischen den Weltkongressen. Die Hauptarbeit des EKKI lastete «auf der Partei des Landes, wo auf Beschluß des Weltkongresses das Exekutivkomitee seinen Sitz hat», also auf den russischen Kommunisten. Sie durften daher auch fünf Vertreter mit beschließender Stimme in das EKKI entsenden (und mit Sinowjew dessen Generalsekretär stellen). Dazu kam, gleichfalls mit beschließender Stimme, je ein Vertreter der «10 bis 13 bedeutendsten kommunistischen Parteien, deren Liste von dem ordentlichen Weltkongreß bestätigt wird». Dieübrigen kommunistischen Parteien konnten je einen Vertreter mit beratender Stimme in das Exekutivkomitee entsenden.
    Der Zweck der 21 Bedingungen und der Statuten war eindeutig: Alle kommunistischen Parteien sollten sich den Weisungen der Moskauer Zentrale, des EKKI, fügen. Dieses Gremium aber kontrollierten die Bolschewiki. Wer die 21 Bedingungen annahm, mußte radikal mit den demokratischen Traditionen der westlichen Arbeiterbewegung brechen und die Vormachtstellung einer Partei akzeptieren, deren Aufbau und Politik sich nur aus spezifisch russischen Verhältnissen erklären ließ. Das Zarenreich war von den großen europäischen Emanzipationsbewegungen, von der

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