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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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«Proletkult» 1925 der zusätzlichen Kontrolle der Gewerkschaften unterstellt wurde, setzte sein Verfall ein. Unter der Vorherrschaft Stalins verlor die Bewegung alles, was bis dahin ihre internationale Faszination ausgemacht hatte. Damit neigte sich auch die Phase dem Ende zu, in der Bolschewismus und künstlerische Avantgarde zwei Seiten einer Medaille zu sein schienen, in der es auch «Mitläufern», ja selbst zurückgekehrten Emigranten möglich war, ohne ständige Angst vor Zensur und Geheimpolizei ihren Beitrag zur sowjetischen Kultur zu leisten, und die Akademie der Wissenschaft auch noch erklärte Kritiker der Lehren von Marx und Lenin zu ihren Mitgliedern machen konnte.
    Doch auch die frühe Sowjetunion hatte bereits ihre staatliche Geheimpolizei. 1922 trat die GPU (Staatliche Politische Verwaltung), diedem Innenministerium untergeordnet war, an die Stelle der «vorstaatlichen» Tscheka. Im Jahr darauf wurde aus der GPU die OGPU (Vereinigte Staatliche Politische Verwaltung). Sie hatte den Status einer obersten Behörde, verfügte über Sitz und Stimme in der Regierung, dem Rat der Volksbeauftragten, und wurde wie zuvor die Tscheka von dem gebürtigen Polen Feliks Dzierzynski geleitet. Mit ihrer Vorgängerin, der Tscheka, teilte die OGPU auch das Hauptquartier, die berüchtigte Lubjanka in Moskau. Die OGPU durfte fortan, wie Manfred Hildermeier schreibt, «im ganzen Land gegen ‹Konterrevolution›, Spionage und Banditenwesen» kämpfen. Sie konnte in allen Republiken Dependancen errichten, Truppen stationieren und Lager eröffnen. Dabei war sie allein dem SNK und dem CIK (dem Rat der Volksbeauftragten und dem Exekutivkomitee der Sowjets, H. A. W.), mithin keiner regionalen Instanz, verantwortlich. Mit dieser Aufwertung der einstigen Notstandsorganisation
par excellence
erklärte die Verfassung im zentralen Bereich der Herrschaftssicherung und neueren Ordnung endgültig den Ausnahmezustand zum Normalfall. Die OGPU trat als dritte Säule des revolutionären Regimes neben die monopolistisch-autoritäre Partei und die zunehmend loyale, elitäre und gesamtsstaatsbewußte Armee.»
    Die Bolschewiki waren zur Zeit der Gründung der Sowjetunion nicht nur im Verhältnis zu anderen Staaten, sondern auch innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung längst nicht mehr so isoliert wie 1918/19. Das wurde bereits beim Zweiten Weltkongreß der Kommunistischen Internationale deutlich, der am 19. Juli 1920 in Petrograd zusammentrat und vom 23. Juli bis zum 7. August in Moskau tagte. Seit dem Gründungskongreß im März 1919 war die Dritte Internationale beträchtlich angewachsen: Von den 217 Delegierten aus 36 Ländern vertraten 152 kommunistische Parteien und Organisationen. Die wichtigsten Delegationen aber waren nicht kommunistische, sondern linkssozialistische Parteien mit großem Anhang in der Wählerschaft: die Sozialistische Partei Italiens, die Sozialistische Partei Frankreichs, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die kurz zuvor, bei den Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920, mit einem Stimmenanteil von 18,6 Prozent einen sensationellen Erfolg errungen hatte, und die Arbeiterpartei Norwegens. Zwei der genannten Parteien waren freilich noch keine Mitglieder der Komintern, sondern hatten lediglich Unterhändler mit beratender Stimme entsandt, die über die Bedingungeneines Beitritts verhandeln sollten: die deutschen Unabhängigen und die französischen Sozialisten.
    Vieles kam zusammen, was den Linksruck in der europäischen Arbeiterschaft bewirkt hatte: die Enttäuschung über den Verlauf der mitteleuropäischen Revolutionen, die nach Meinung der entschiedenen Linken viel zu wenig an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen geändert hatten; das Scheitern der großen Streikbewegungen von 1919 und 1920; der Zorn auf das Versagen der Zweiten Internationale im Krieg und die Unwilligkeit vieler ihrer Mitgliedsparteien, den Gründen dieses Versagens selbstkritisch nachzugehen, und nicht zuletzt die Bewunderung für
die
Partei, die als einzige eine proletarische Revolution zuwege gebracht hatte, die sich im Abwehrkampf gegen die Konterrevolution und die alliierte Intervention an der Macht behauptet und zu Beginn des Zweiten Weltkongresses, auf dem Höhepunkt des russisch-polnischen Krieges, drauf und dran schien, das siegreiche rote Banner nach Mitteleuropa zu tragen.
    In Italien war der Beitritt zur Dritten Internationale auf dem Parteitag der Sozialisten in Bologna im Herbst 1919

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