Geschichte des Westens
Vorsitzende der Sudetendeutschen Turnerschaft, Konrad Henlein, am 1. Oktober 1933 ins Leben rief.
Nichts förderte den Aufstieg der neuen Sammlungsbewegung so sehr wie die vermeintlichen oder tatsächlichen, propagandistisch weidlich ausgeschlachteten Erfolge des «Dritten Reiches» im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. Bei den Parlamentswahlen vom Mai 1935 erhielt Henleins Sudetendeutsche Partei (dies der offizielle Name seit Ende April 1935) 44 Sitze und damit zwei Drittel aller deutschen Mandate.Was sie propagierte, war noch nicht die Abspaltung des Sudetengebiets und der Anschluß an Deutschland, sondern weitgehende Autonomie. Insgesamt stellten die Gruppen, die den tschechoslowakischen Staat aus unterschiedlichen Gründen ablehnten oder im Sinn nationaler Autonomie von Grund auf neu organisieren wollten, mehr als ein Drittel der Abgeordneten des Prager Parlaments: Zu den 44 deutschen und 22 slowakischen Autonomisten kamen 9 ungarische Nationalisten, 6 Vertreter der tschechischen faschistischen Partei um den früheren Generalstabschef Radola Gajda und 30 Kommunisten. Die letzteren wurden seit 1929 von einem erklärten Gefolgsmann Stalins geführt: von Klement Gottwald, dem späteren Ministerpräsidenten der Jahre 1946 bis 1948 und Staatspräsidenten von 1948 bis 1953, der sich 1934 einer drohenden Verhaftung durch die Flucht in die Sowjetunion entziehen konnte. Das Anwachsen der rechten und linken Opposition war ein Krisenzeichen, gefährdete aber nicht die Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung: Auch nach 1935 waren die «aktivistischen» deutschen Parteien mit mindestens zwei Ministern im Prager Kabinett vertreten.
Außenpolitisch lehnte sich die Tschechoslowakei vor allem an Frankreich an, mit dem sie im Januar 1924 ein reguläres Bündnis einging. Innerhalb der «Kleinen Entente», des tschechoslowakisch-jugoslawisch-rumänischen Vertragssystems von 1920/21, fiel Prag die Rolle des «primus inter pares» zu. Das galt besonders für die Zeit der intensivierten politischen, militärischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit seit 1929, die im Februar 1933 die Form eines Organisationspaktes mit einem Ständigen Rat der Außenminister, einem Ständigen Sekretariat und einem gemeinsamen Wirtschaftsrat annahm. Zum revisionistischen Ungarn blieb das Verhältnis gespannt, und für Polen galt in abgeschwächter Form dasselbe: Zwischen beiden Staaten stand der Streit um das Teschener Gebiet, der durch ein bilaterales Abkommen vom April 1925 nur vordergründig beigelegt werden konnte.
Mit dem Deutschen Reich, das durch den Versailler Vertrag das kleine Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei hatte abtreten müssen, entwickelte sich in der Zeit der Weimarer Republik hingegen ein korrektes, ja alles in allem gutes Verhältnis. Nach der «Machtübernahme» der Nationalsozialisten im Januar 1933 sollte es sich freilich bald zum Schlechteren wandeln. Das Gefühl der Bedrohung durch Deutschland mündete in eine Annäherung an die Sowjetunion:Mit ihr nahm Prag im Juni 1934 diplomatische Beziehungen auf; im Mai 1935, folgte ein Beistandspakt, der allerdings an die Bedingung einer gleichzeitigen militärischen Unterstützung Frankreichs geknüpft war.
Als Tomáš Masaryk im Dezember 1935 im Alter von 85 Jahren sein Amt als Staatspräsident aufgab und Edvard Beneš seine Nachfolge antrat, war die innere und äußere Lage der Tschechoslowakei sehr viel weniger gefestigt als noch fünf Jahre zuvor. Verglichen mit den anderen neuen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas erschien die Tschechoslowakei aber immer noch als ein Hort demokratischer Stabilität. Die Welle der autoritären Transformation, die alle Staaten «Zwischeneuropas» und zeitweise sogar Finnland erfaßt hatte, brach sich in dem am höchsten entwickelten der neuen Staaten an der etablierten politischen Kultur pragmatischer Zusammenarbeit zwischen der Sozialdemokratie auf der einen, den bürgerlichen und agrarischen Kräften auf der anderen Seite: ein Befund, der ein Schlaglicht auf den engen Zusammenhang von gesellschaftlicher Rückständigkeit und autoritären Krisenlösungen wirft.[ 18 ]
Autoritäre Transformation (II):
Vom Balkan zur Pyrenäenhalbinsel
Eine autoritäre Transformation erlebten in der Zwischenkriegszeit nicht nur die meisten der neuen Staaten «Zwischeneuropas», sondern auch manche, die es schon vor 1914 gegeben hatte, darunter die (mit Ausnahme des überwiegend islamischen Albanien) orthodox, also nicht
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