Geschichte des Westens
für das sie noch nicht kandidierte, war sie nur infolge von Übertritten linker sozialdemokratischer Abgeordneter vertreten; bei den zweiten Wahlen von 1925 zog sie erstmals mit gewählten Abgeordneten in die Volksvertretung ein.
Die beiden maßgeblichen Politiker der Tschechoslowakischen Republik in der Zwischenkriegszeit waren Tomáš Masaryk, der Staatspräsident der Jahre 1918 bis 1935, und Edvard Beneš, der von 1918 bis 1935 ununterbrochen das Amt des Außenministers innehatte und 1935 Masaryks Nachfolge als Staatspräsident antrat. Die Prager Kabinette waren zu keiner Zeit rein bürgerliche oder rein sozialdemokratische, sondern meist «klassenübergreifende» Koalitionsregierungen. In den ersten sechs Jahren nach Verabschiedung der Verfassung gab es mehrfach Minderheitsregierungen und Beamtenkabinette, die jeweils nur kurz amtierten. Im Oktober 1926 gelang es dem Agrarier Antonin Švehla, erstmals zwei bürgerliche deutsche Parteien, die Christlich-Sozialen und den Bund der Landwirte, später, im Januar 1927, durch Zugeständnisse in Richtung größerer Autonomie auch die Slowakische Volkspartei für eine Kabinettsbeteiligung zu gewinnen.
Bereits 1920 und damit viel früher als die bürgerlichen deutschen Parteien hatten sich die deutschen Sozialdemokraten zur parlamentarischen Mitarbeit auf dem Boden des neuen Staates bereit erklärt. Ende 1929 stellten sie mit ihrem Vorsitzenden Ludwig Czech zum ersten Mal ein Kabinettsmitglied: Czech wurde Minister für Sozialfürsorge im zweiten Kabinett von František Udrzal, einem Politiker der Bauernpartei. Ohne Beteiligung der deutschen Parteien war 1921 eine Agrarreform beschlossen worden, die aber, anders als in Polen, nicht einseitig zu Lasten der Großgrundbesitzer einer nationalen Minderheit, hier der Deutschen und der Ungarn, ging. Eine Verwaltungsreform von 1927/28 verlief für die Sudetendeutschen insofern enttäuschend, als durch die Zusammenlegung des ehemals österreichischen Teils von Schlesien mit Mähren die Bildung eines Landes Schlesien unmöglich wurde, in dessen Landtag Deutsche und Polen zusammen vermutlich über eine Mehrheit verfügt hätten. Insgesamt waren die Sudetendeutschen Ende der zwanziger Jahre sehr viel besser in den tschechoslowakischen Staat integriert als Ungarn und Polen.
Die größten Probleme für den staatlichen Zusammenhalt warfen die slowakischen Autonomisten auf, die sich in der Slowakischen Volksparteium den katholischen Priester Andrej Hlinka organisiert hatten. Bei den ersten Parlamentswahlen im April 1920 kamen sie auf zwölf Mandate. Fünf Jahre später konnten sie die Zahl ihrer Abgeordneten verdoppeln und sich damit an die Spitze aller slowakischen Parteien setzen. Zur Zäsur im Verhältnis zwischen der Prager Regierung und der Slowakischen Volkspartei wurde ein Prozeß gegen den Abgeordneten Vojtdch Tuka, den Gründer der «Rodobrana», einer slowakischen Heimatwehr. Dieser stellte den gemeinsamen Staat der Tschechen und Slowaken radikal in Frage und wurde im Oktober 1929 wegen militärischen Verrats und Hochverrats zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Urteil löste in der Slowakei heftige Empörung aus und führte dazu, daß die Slowakische Volkspartei aus der Regierung ausschied und zu einer entschiedenen Oppositionspolitik überging. Der Parteivorsitzende Hlinka vertrat in der Folgezeit die Forderung nach kultureller Autonomie und politischer Selbstverwaltung der Slowakei so radikal, daß er in Prag immer mehr als Separatist wahrgenommen wurde.
Im Zeichen der Weltwirtschaftskrise radikalisierte sich die politische Stimmung in den von der Depression besonders betroffenen, von der verarbeitenden Industrie geprägten sudetendeutschen Gebieten. Die am weitesten rechts stehende Gruppierung, die 1904 (zunächst unter dem Namen Deutsche Arbeiterpartei) gegründete Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP), die 1929 8 von 66 deutschen Mandaten im Prager Abgeordnetenhaus erhalten hatte, erfreute sich bald eines wachsenden Zulaufs enttäuschter ehemaliger Wähler der «aktivistischen», das heißt zur Regierungsbeteiligung grundsätzlich bereiten deutschen Parteien. Als sie nach dem Vorbild von Hitlers SA eine paramilitärische Formation aufzubauen begann, mußte sie sich einem Gerichtsverfahren stellen, als dessen Ergebnis ein Parteiverbot zu erwarten war. Dem kam die DNSAP im Herbst 1933 durch Selbstauflösung zuvor. Ihre Nachfolge trat die Sudetendeutsche Heimatfront an, die der Turnlehrer und
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