Geschichte des Westens
Kulturbolschewismus» und für die Einführung eines Numerus clausus zwecks Beschränkung der Zahl jüdischer Studenten. Als die Nationale Front ihren Antisemitismus aus taktischen Gründen milderte und sich auch sonst zu mäßigen begann, gründete Emil Sonderegger, der «Held» der Niederschlagung des Landesstreiks vom November 1918, 1933 den Volksbund, der seine Judenfeindschaft und seinen Antiparlamentarismus sehr viel offener äußerte. 1934, nach Sondereggers Tod, ging der Volksbund in der Eidgenössischen Front auf. Noch radikaler gaben sich die Nationalsozialistischen Eidgenossen, die einen Anschluß an das Deutsche Reich propagierten, und der Schweizer Faschismus, der einen ausgeprägten Kult um Mussolini betrieb und zu den Veranstaltern eines internationalen faschistischen Kongresses im Dezember 1934 in Montreux gehörte.
Nur eine der rechtsradikalen Organisationen, die Nationale Front, konnte 1933 bei einigen örtlichen Wahlen (unter anderem in Schaffhausen, wo sie auf mehr als 26 Prozent kam) größere Erfolge verbuchen. Drei Jahre später existierten nur noch wenige der insgesamt zwölf Fronten. Ihre größte Niederlage war das Scheitern des Versuchs einer Totalrevision der Bundesverfassung in autoritärer und ständestaatlicher Richtung in einer Volksabstimmung vom September 1935: 194.000 Ja-Stimmen standen 510.000 Nein-Stimmen gegenüber.
Bei den Nationalratswahlen von 1935 stiegen die Sozialdemokraten zur stärksten Partei auf. Da sie sich wieder, wie zuletzt 1914, uneingeschränkt zur Landesverteidigung bekannten, entspannte sich allmählich ihr Verhältnis zu den bürgerlichen Parteien. Zwei Jahre später begannen die Gewerkschaften, beginnend mit der der Metall- und Uhrenarbeiter, Friedensabkommen mit den Organisationen der Arbeitgeber zu schließen. Die wirtschaftliche Erholung tat das ihre, um die politische Lage zu beruhigen. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre war von der Gefahr von rechts innerhalb der Schweiz nicht mehr viel zu spüren. Die gemäßigten Parteien, zu denen nun auch die Sozialdemokraten zählten, hatten sich behauptet; der 1936 gegründete Landesring der Unabhängigen um den Großkaufmann Gottlieb Duttweilerwar mit seinem Eintreten für unbedingte Wirtschaftsfreiheit politisch sehr viel erfolgreicher als zuvor die Fronten. Die schweizerische Demokratie ging gefestigt aus den Krisenjahren hervor und konnte auch im Zweiten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit behaupten.[ 21 ]
Der Faschismus an der Macht: Italien unter Mussolini
Der Begriff «faschistisch», mit dem die Schweizer Frontenbewegung wie viele andere rechte Bewegungen der Zwischenkriegszeit von zahlreichen Beobachtern gekennzeichnet wurde, hatte sich in den dreißiger Jahren längst von seiner italienischen «Urform» gelöst. Wenn marxistische oder liberale Kritiker vom «Faschismus» sprachen, meinten sie eine vom herkömmlichen Konservatismus unterschiedene Erscheinungsform rechter Bewegungen und Regime, die mit äußerster Militanz gegen ihre Gegner auf der Linken vorgingen und es verstanden, mit demagogischen, vor allem nationalistischen Parolen Massen hinter sich zu bringen. Den wichtigsten sozialen Rückhalt des Faschismus sahen die meisten zeitgenössischen Autoren in den städtischen und ländlichen Mittelschichten – jener gesellschaftlichen Zwischenzone zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse, die sich von zwei Seiten, vom Großkapital und dem industriellen Proletariat, bedroht fühlte und es bisher nicht zu einer eigenständigen politischen Organisation gebracht hatte.
In Italien gehörte der linke Reformist Giovanni Zibordi zu den ersten, die sich mit der sozialen Basis des Faschismus umfassend auseinandersetzten. Er nannte Italien 1922 ein Land, in dem es einen «Überfluß am Kleinbürgertum» gebe. Im Faschismus erblickte Zibordi erstens eine «Konterrevolution des eigentlichen Bürgertums gegen eine ‹rote› Revolution, die es als Akt des Aufstandes außer im Sinn der Drohung nicht gegeben hat», zweitens «eine Revolution oder besser eine Konvulsion von kleinbürgerlichen deklassierten und unzufriedenen Schichten» und drittens eine «militärische Revolution». Mit dem letzten Begriff umschrieb Zibordi jene Teile des Offizierskorps, der Carabinieri und der Polizei, die, wie viele ehemaligen Soldaten, mit dem Faschismus sympathisierten, weil er für sie eine «Verlängerung des Kriegszustandes in der Innenpolitik und eine Chance des Krieges in der Außenpolitik» bedeutete. Die große
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