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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Kraft des Faschismus habebislang darin gelegen, «daß er in sich gegen das sozialistische Proletariat die bewußte und kalte Feindseligkeit der authentischen Bourgeoisie und die fanatische und verwirrte Abneigung jener Mittelschichten vereinigte, die, durch die Krise der Nachkriegszeit niedergedrückt, auf das Proletariat statt auf die herrschende soziale Klasse oder besser auf das herrschende soziale Regime den Groll ihres Mißbehagens wälzen».
    Mit dem Hinweis auf bürgerliche, mittelständische und militärische Elemente wandte sich Zibordi gegen eine einseitige soziologische Deutung des Faschismus: Dieser war aus seiner Sicht
auch
, aber nicht nur eine Bewegung der Mittelschichten (ceti medi). Eine Berufsstatistik des Partito Nazionale Fascista (PNF) aus dem Jahr 1921 bestätigt dieses Urteil. Damals waren 24,3 Prozent der Mitglieder der «Fasci» Landarbeiter und 15,4 Prozent Industriearbeiter. Es folgten Studenten und Schüler mit 13, Bauern, Pächter und Halbpächter mit 11,9, Privatangestellte mit 9,9, Kaufleute, Handwerker und Händler mit 9,2, freie Berufe mit 6,6 und öffentliche Angestellte mit 4,7 Prozent.
    Die Daten von 1921 verweisen auf ein sehr breites soziales Einzugsfeld des Faschismus, entkräften aber nicht die These von seiner besonderen Anziehungskraft auf die Mittelschichten. Gemessen an den jeweiligen Anteilen an der Bevölkerung im ganzen, waren die Land- und Industriearbeiter unter den Mitgliedern des PNF unterrepräsentiert, die Mittelschichten, besonders der «neue Mittelstand» der Angestellten, überrepräsentiert. Im besonderen Maß galt das für Schüler, Studenten und Lehrer – Gruppen, in denen es angesichts eines viel zu kleinen Angebots an verfügbaren Stellen eine verbreitete soziale Abstiegsangst gab.
    Der Historiker Jens Petersen hat den PNF die «erste bürgerliche Massenpartei Italiens» genannt. In Anbetracht eines Arbeiteranteils von fast 40 Prozent drängt sich aber eher der Begriff «Volkspartei» auf. Von den anderen Parteien unterschieden sich die Faschisten auch dadurch, daß sie besonders viele Angehörige der jungen Generation in ihren Reihen zählten: 1921 machten Jugendliche unter 21 Jahren etwa ein Viertel der Mitgliedschaft aus. In der Provinz Reggio Emilia betrug das Durchschnittsalter der Mitglieder im Oktober 1922 25 Jahre. Mit rund 300.000 Mitgliedern Ende 1922 war der PNF schon zur Zeit des «Marsches auf Rom» die mitgliederstärkste Partei Italiens. Im ersten Jahr der Regierung Mussolini wuchs die faschistische Bewegung explosionsartig an: Im Dezember 1923 zählte sie 783.000 Mitglieder.
    Der Regierung Mussolini gehörten nicht nur Faschisten an. Der «Duce», in Personalunion Ministerpräsident, Außen- und Innenminister, nahm parteilose Fachleute wie den früheren Generalstabschef Armando Diaz und Admiral Paolo Thaon di Revel (jenen als Kriegs-, diesen als Marineminister) sowie Mitglieder der christlich-demokratischen Popolari, der Demokratischen und der Liberalen Partei in sein Kabinett auf. Der prominenteste Liberale war der Philosoph Giovanni Gentile, der sich damals freilich schon auf den Weg vom Liberalismus zum Faschismus begeben hatte.
    Ein faschistisches Kabinettsmitglied war der Finanzminister der Jahre 1922 bis 1925, Alberto De Stefani, ein Professor der Wirtschaftswissenschaften, der von 1923 bis 1925 zugleich auch das Schatzministerium leitete. Durch seine dem «laissez faire» verpflichtete unternehmerfreundliche Finanz- und Wirtschaftspolitik trug er wesentlich dazu bei, daß sich die Industrie geschlossen hinter die neue Regierung stellte. Was ihm besonders hoch angerechnet wurde, war die Sanierung der Finanzen auf der Grundlage der außerordentlichen Sondervollmachten, die Deputiertenkammer und Senat, befristet auf ein Jahr, der Regierung Mussolini gewährt hatten. Die Hoffnung der Liberalen auf die von Mussolini versprochene «normalizzazione» im allgemeinen und eine Auflösung der Sturmtruppen im besonderen erfüllte sich aber nicht: Die Squadre wurden im Januar 1923 in die Milizia Volontaria per la Sicurezza Nazionale, eine neue, ursprünglich nicht kasernierte, freiwillige Reservearmee eingegliedert, die Mussolini als «Duce del Fascismo» unterstand, keinen Eid auf den König zu leisten hatte, aber vom Staat finanziert wurde. Einen Monat zuvor schon, im Dezember 1927, war der faschistische Großrat, der Gran Consiglio del Fascismo, das oberste Beratungs- und Beschlußgremium des PNF, geschaffen worden. Damit begann

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