Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Organisatoren des Landesstreiks, darunter die Nationalräte Robert Grimm und Fritz Platten, wegen Meuterei zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Eine weitere Folge des Landesstreiks war der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Sowjetrußland, dem die Regierung in Bern eine aktive Mitwirkung an den Novemberereignissen unterstellte.
    Bei den Wahlen zum Nationalrat wurde im Oktober 1919 erstmals nach dem (durch eine Volksabstimmung vom Oktober 1918 eingeführten) Verhältniswahlrecht gewählt. Die Verlierer waren die bislang dominierenden liberalen Freisinnigen, die bei den vorangegangenen Wahlen von 1916.105 Sitze errungen hatten und jetzt nur noch auf 60 Mandate kamen, sowie, in geringerem Umfang, die Katholisch-Konservativen, die Gewinner die neue Bauernpartei und die Sozialdemokratie. Die erstere erhielt auf Anhieb 29 Mandate, die letztere konnte die Zahl ihrer Abgeordneten von 22 auf 41 steigern. Eine Vertretung im Bundesrat wurde den Siegern aber vorläufig verwehrt: den Bauern bis 1929, den Sozialdemokraten, nicht zuletzt wegen ihrer Rolle beim Landesstreik, noch sehr viel länger, bis 1943. Im März 1921 wurde, nachdem die Sozialdemokratische Partei im Jahr zuvor einen Beitritt zur Dritten Internationale abgelehnt hatte, auch in der Schweiz eine Kommunistische Partei gegründet, die jedoch keine große politische Bedeutung erlangte. Im gleichen Jahr endete das 1914 eingeführte Regime der Vollmachten, das die Befugnisse des Bundesrates auf Kosten von Nationalrat und Ständerat beträchtlich erweitert hatte.
    Die wichtigste außenpolitische Streitfrage der Nachkriegszeit war das Verhältnis der Schweiz zum Völkerbund. Angesichts der «ewigen Neutralität», der sich die Eidgenossenschaft seit dem frühen 16. Jahrhundert verschrieben hatte, verstand sich eine Mitgliedschaft im Völkerbund keineswegs von selbst – auch nicht, als feststand, daß dieser Genf zum Sitz seiner wichtigsten Organe machen würde. Der neugewählte Nationalrat befürwortete im November 1919 unter dem Vorbehalt der Neutralität einen Beitritt, band ihn aber an die Billigung in einer Volksabstimmung. Die Londoner Deklaration des Völkerbundsrates vom 13. Februar 1920, die die eventuellen Sanktionspflichten der Schweiz in Anbetracht ihrer Neutralität auf den nichtmilitärischen Bereich beschränkte, erleichterte eine positive Entscheidung.
    Dennoch blieb die Beitrittsfrage weiter umstritten. Die Führungen der bürgerlichen Parteien bezogen eine positive Haltung, sprachen damit aber nur für einen Teil der Mitgliedschaft; in der Sozialdemokratie war der linke Flügel entschieden gegen eine Mitgliedschaft im Völkerbund. Die Volksabstimmung vom 16. Mai 1920 erbrachte eine klare Mehrheit von 415.000 zu 323.000 Stimmen für den Beitritt. Der Sieg des Ja war vor allem dem positiven Votum der frankophonen Kantone der Westschweiz zu verdanken; in der deutschsprachigen Schweiz waren dagegen die Nein-Sager in der Überhand. Entsprechend knapp fiel die Ja-Mehrheit im Ständerat aus.
    Die offizielle Interpretation der Neutralität der Schweiz wandelte sich infolge des Eintritts in den Völkerbund: An die Stelle der «integralen» trat eine «differentielle», durch die Verpflichtung von wirtschaftlichen Sanktionen zum Schutz des Völkerfriedens eingeschränkte Neutralität. Gewissermaßen als Ausgleich der Abschwächung des Neutralitätsprinzips legte die Schweizer Außenpolitik, die von 1920 bis 1940 von dem Tessiner Bundesrat Giuseppe Motta geleitet wurde, Wert auf gute Beziehungen auch zu jenen Nachbarstaaten, von denen am ehesten Völkerrechtsbrüche zu erwarten waren: dem faschistischen Italien und, nach 1933, dem nationalsozialistischen Deutschland.
    Im Zeichen der Weltwirtschaftskrise, die das exportorientierte und vom Fremdenverkehr abhängige Land schwer traf, formierte sich auch in der Schweiz eine militante Opposition gegen das parlamentarische System und alles, was links und liberal war. In der Frontenbewegung der frühen dreißiger Jahre gab, ungeachtet eines erheblichen Anteils von Arbeitern an der Mitgliedschaft, der gewerbliche Mittelstand denTon an. «Mittelstand, erwache!» und «Die Schweiz den Schweizern!» lauteten zwei Parolen der Nationalen Front, der größten der rechtsradikalen Organisationen, die sich, was Führerkult, Uniformierung, Grußformen und Symbole betraf, an deutschen und italienischen Vorbildern ausrichtete. Der Landesführer der Nationalen Front, Rolf Henne, agitierte gegen den «jüdischen

Weitere Kostenlose Bücher