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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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itself). Die Nation rufe nach Aktion, und zwar nach sofortiger Aktion. Konkret erwähnte Roosevelt die Notwendigkeit nationaler Planung und Überwachung des Verkehrs- und Kommunikationswesens sowie der Energieversorgung. Der Spekulation mit anderer Leute Geld müsse Einhalt geboten und die Stabilität der Währung gesichert werden. Die Gesundung der amerikanischen Volkswirtschaft habe Vorrang vor der Pflege der internationalen Handelsbeziehungen. Als Maxime der praktischen Politik nannte er die Setzung der richtigen Prioritäten (the putting of first things first). Nur in Kriegszeiten habe es bisher ein derartiges Maß an nationaler Disziplin gegeben, wie es jetzt notwendig sei. Im äußersten Fall werde er als Präsident den Kongreß ersuchen, ihm die außerordentlichen Vollmachten zu übertragen, die notwendig seien, um einen Krieg gegen die Not zu führen (broad executive power to wage a war against emergency) – Vollmachten in einem Umfang, wie sie ihm im Fall eines Angriffs durch einen äußeren Feind gegeben würden.
    Auf die Weltpolitik ging Roosevelt nur ganz kurz ein. Er verpflichtetedie Vereinigten Staaten auf eine «Politik der guten Nachbarschaft» (policy of the good neighbor). Ein «guter Nachbar» war demzufolge derjenige, der ein hohes Maß an Selbstachtung besaß und gerade deshalb auch die Rechte der anderen achtete, der seine Verpflichtungen und die Heiligkeit seiner vertraglichen Vereinbarungen inmitten einer Welt von Nachbarn respektierte. Indem Roosevelt die von seinem Vorgänger geprägte, auf Lateinamerika gemünzte Formel von der guten Nachbarschaft im Weltmaßstab ausweitete, gab er indirekt auch Europa ein Signal – einem Erdteil, der in seiner Rede ebensowenig ausdrücklich vorkam wie andere Weltregionen.
    In den Schlußpassagen seiner Ansprache beschwor Roosevelt das Erbe und das Ethos der amerikanischen Demokratie. «Wir sehen den schweren Zeiten, die vor uns liegen, mit dem leidenschaftlichen Mut der nationalen Einheit entgegen. Wir tun das in dem klaren Bewußtsein, daß wir uns an alten und kostbaren Werten ausrichten, in dem befriedigendem Gefühl, das aus strenger Pflichterfüllung durch Alt und Jung erwächst … Wir empfinden kein Mißtrauen in die Zukunft dessen, was das Wesen einer Demokratie ausmacht (We do not distrust the future of essential democracy). Das Volk der Vereinigten Staaten hat nicht versagt. In seiner Not hat es klar zum Ausdruck gebracht, daß es unmittelbares und tatkräftiges Handeln wünscht. Es erwartet Disziplin, Richtung und Führung. Es hat mich zum derzeitigen Werkzeug seiner Wünsche gemacht. In diesem Geist nehme ich den Auftrag an.»
    Der feierliche Ton war dem Anlaß angemessen. Die Rede weckte Hoffnungen, und nichts brauchte Amerika im März 1933 mehr als das. Der neue Präsident hatte seine erste Herausforderung bestanden.[ 27 ]
Die Logik des kleineren Übels:
Deutschland in der Ära Brüning
    Von der Weltwirtschaftskrise war kein europäisches Land so betroffen wie das hochindustrialisierte Deutschland. Die deutsche Binnenkonjunktur befand sich bereits in einer Rezession, als die Krise in Amerika offenkundig wurde. Das Volkseinkommen wies 1929 eine leicht rückläufige Tendenz auf; die Aktienkurse fielen, wenn man den Durchschnitt der Jahre 1924 bis 1926 als Indexbasis nimmt, von 158 im Jahr1927 auf 148 und 134 in den beiden folgenden Jahren. Im Durchschnitt der Sommermonate wurden 1929 rund 250.000 Arbeitslose mehr gezählt als im Jahr zuvor. Im September 1928 hatte es 1,16 Millionen Erwerbslose gegeben, im September 1929 waren es 1,52 Millionen. In Deutschland war der Sockel der Arbeitslosigkeit bei Beginn der Weltwirtschaftskrise damit sehr viel höher als in den USA, wo am Vorabend der Großen Depression noch nahezu Vollbeschäftigung herrschte. In Deutschland waren 1929 im Jahresdurchschnitt 9,3 Prozent aller Arbeitnehmer arbeitslos, in Amerika nur 3,2 Prozent.
    Von den spezifischen Problemen der deutschen Volkswirtschaft in den zwanziger Jahren ist schon die Rede gewesen: von der Einschränkung der Marktwirtschaft durch industrielle Kartellbildung und agrarische Schutzzölle, von der staatlichen Zwangsschlichtung und den «politischen Löhnen», von den Reparationen, die mit Hilfe von Auslandsdarlehen bezahlt wurden, von der Gewohnheit der Banken, kurzfristig vergebene ausländische, meist amerikanische Kredite als Investitionskredite an Länder und Gemeinden, aber auch an die Industrie weiterzureichen.
    Die deutschen Banken hatten

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