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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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in die Regierung sein Reichstagsmandat nieder, so daß einstweilen offen blieb, wie sich die Partei des Pressemagnaten Alfred Hugenberg gegenüber dem Kabinett Brüning verhalten würde. Tatsächlich stimmten die Deutschnationalen im April 1930 mehrfach uneinheitlich ab, so daß die Regierung, sehr gegen den Willen Hugenbergs, im Reichstag knappe Mehrheiten fand.
    Rund ein Vierteljahr nach Brünings Ernennung trat dann die Situation ein, die Hindenburg im Blick gehabt hatte, als er den Zentrumspolitiker mit dem Amt des Reichskanzlers betraute: Eine Deckungsvorlage der Reichsregierung zum Haushalt wurde im Steuerausschuß des Reichstags abgelehnt, woraufhin der Reichspräsident am 16. Juli offiziell erklären ließ, daß er dem Reichskanzler die Vollmacht gegeben habe, das Deckungsprogramm auf Grund des Artikels 48 in Kraft zu setzen, wenn seine parlamentarische Verabschiedung scheitern sollte, und den Reichstag aufzulösen, falls dieser die Aufhebung der erlassenen Notverordnungen beschließen oder dem Kanzler das Mißtrauen aussprechen sollte.
    Sozialdemokratische Proteste konnten die Entwicklung zum Regime der Notverordnungen nicht mehr aufhalten. Nach der Ablehnung der Deckungsvorlage im Plenum des Reichstags am 16. Juli erklärte Brüning, die Regierung lege auf die Fortführung der Debatte keinen Wert. Noch am gleichen Tag ergingen die beiden ersten Notverordnungen, die jedoch nur zwei Tage lang in Kraft waren. Am 18. Juli nahm der Reichstag den Antrag der SPD auf Aufhebung der Notverordnungen an. Unmittelbar danach löste der Reichspräsident den Reichstag auf. Als Neuwahltermin setzte er den 14. September 1930 fest. Am 26. Juli erließ Hindenburg eine neue «Notverordnung zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände». Sie führte unter anderem eine «Bürgersteuer» ein, die, anders als in der vorangegangenen Notverordnung, sozial gestaffelt war. Außerdem bildete die Notverordnung die Rechtsgrundlage für einen Vollstreckungsschutz für überschuldete Güter der ostdeutschen Landwirtschaft im Zeichen der «Osthilfe», eine Reichshilfe der Festbesoldeten, für einen Zuschlag zur Einkommensteuer, eine Ledigensteuer und, weil angesichts der gestiegenen Arbeitslosenzahlenunvermeidbar, für die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 3,5 auf 4 Prozent.
    Dem Übergang von der verdeckten zur offenen Präsidialregierung im Jahr 1930 wohnte eine gewisse Zwangsläufigkeit inne. Nachdem der Reichspräsident vier Monate zuvor der parlamentarischen Mehrheitsregierung eine Absage erteilt hatte, erfüllte sich während der Julikrise nur das Gesetz, nach dem der neue Reichskanzler am 30. März sein Amt angetreten hatte. Brüning konnte den Sozialdemokraten nicht entgegenkommen, ohne den Reichspräsidenten und den rechten Flügel des Regierungslagers zu verprellen. Dies aber durfte er nicht tun, weil er sonst gegen die Logik seiner Berufung verstoßen hätte. Die Sozialdemokraten wiederum konnten die ungestaffelte Bürgersteuer, auf der die Regierung bis zur Auflösung des Reichstags bestanden hatte, nicht hinnehmen, ohne das Gerechtigkeitsempfinden der eigenen Anhänger massiv zu verletzen und den Kommunisten einen billigen Trumpf zuzuspielen. Der Handlungsspielraum der wichtigsten Akteure in der Julikrise war mithin so gering, daß man einen glimpflichen Ausgang des Konflikts nicht erwarten konnte.
    Der Reichstagswahl gingen Versuche voraus, zu einer Konzentration der bürgerlichen Kräfte zu gelangen. Der Erfolg war bescheiden: Die Deutsche Demokratische Partei schloß sich mit der Volksnationalen Reichsvereinigung, dem politischen Arm des konservativen und (nach damaligen Maßstäben: moderat) antisemitischen Jungdeutschen Ordens, zur Deutschen Staatspartei zusammen, was viele ihrer jüdischen Anhänger und nicht nur sie zutiefst irritierte. Bereits Anfang Oktober erklärten die Jungdeutschen wegen unüberwindbarer weltanschaulicher Differenzen ihren Austritt aus der Partei, der neue Parteiname aber blieb bestehen. Die Industrie förderte gezielt die Konservative Volkspartei, in der sich Ende Juli die Volkskonservativen um Gottfried Treviranus und die Anti-Hugenberg-Fronde um den Grafen Westarp vereinigt hatten.
    Auf der Linken blieb organisatorisch alles beim alten. Neu war höchstens der vehemente Nationalismus, den die KPD zur Schau trug. In ihrer «Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes» vom 24. August 1930 behauptete sie von

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