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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Administration (PWA) – Arbeiten, die überall in den USA unter dem werbewirksamen Symbol des «Blauen Adlers» vergeben wurden. Weniger sichtbar waren die Mängel, die dem System von Anfang an innewohnten: die Begünstigung großer Firmen auf Kosten der kleineren und die Willkür, mit denen in manchen Codes Löhne und Preise fixiert worden waren.
    Eine einheitliche «Philosophie» lag dem New Deal nicht zugrunde. Die meisten Ideen, die in ihn einflossen, entstammten dem «progressive movement» des frühen 20. Jahrhunderts. Gemeinsam war den Intellektuellen, die Roosevelt berieten, die Überzeugung, daß die Marktmechanismen nicht ausreichten, um Amerika aus der Krise herauszuhalten, weshalb der Staat planend und intervenierend tätig werden mußte. Weder der Präsident noch die Wirtschaftswissenschaftler, auf die er hörte, waren «Keynesianer». Vielmehr versuchte Roosevelt, so weit es nur irgend ging, am Prinzip des ausgeglichenen Haushalts festzuhalten. Zumindest eines der frühen New-Deal-Gesetze hatte einen ausgeprägt «prozyklischen» Charakter: Der Economy Act vom 20. März 1933 kürzte die Pensionen der Kriegsveteranen und die Gehälter der Bundesbediensteten um 15 Prozent und senkte damit dieMassenkaufkraft. Das Civil Works Program beendete Roosevelt 1934 rasch wieder, als er fand, daß es zu kostspielig war. Öffentlicher Arbeitsbeschaffung maß er 1933/34 keineswegs die Priorität bei, die sie nach Meinung von John Maynard Keynes und seinen Gefolgsleuten haben sollte.
    Am 31. Dezember 1933 veröffentlichte die «New York Times» einen offenen Brief, in dem der britische Ökonom den Präsidenten aufforderte, durch großzügiges staatliches «deficit spending» die fehlende Nachfrage der Verbraucher auszugleichen und so die Wirtschaft anzukurbeln. Fünf Monate später, am 28. Mai 1934, wurde Keynes von Roosevelt im Weißen Haus empfangen. Überzeugen konnte er seinen Gastgeber nicht. Gegenüber seiner Arbeitsministerin Frances Perkins, dem ersten weiblichen Kabinettsmitglied der amerikanischen Geschichte, bemerkte der Präsident wenig später, Keynes habe ihn mit Zahlen überschüttet und sei wohl eher Mathematiker als Ökonom. Keynes gewann seinerseits den Eindruck, der Präsident verstehe überhaupt nichts von Wirtschaft.
    Die große Mehrheit der Amerikaner war beeindruckt von der Art und Weise, wie die neue Regierung ihre Aufgaben anpackte. Roosevelt, seine Minister und Behördenchefs strahlten Dynamik und Tatkraft aus und hoben sich dadurch positiv von dem Fatalismus ab, der rückblickend das herausstechende Merkmal der Regierung Hoover gewesen zu sein schien. Roosevelt verstand es, durch regelmäßige Rundfunkansprachen vor dem Kamin des Oval Office, die legendären «fireside chats», die Amerikaner direkt anzusprechen und so das neue Massenmedium in ein Herrschaftsmittel zu verwandeln. Er war ein begnadeter, ja charismatischer Redner, dem es immer wieder gelang, seine politischen und publizistischen Gegner dadurch in die Defensive zu drängen, daß er sich zum unmittelbaren Sprachrohr des Volkes machte. Daß er nur wenige unverrückbare Überzeugungen besaß, klaren Festlegungen gern auswich und am liebsten den Weg des geringsten Widerstands ging, wußten die, die Zugang zu ihm hatten. Seiner öffentlichen Wirkung taten diese Eigenschaften keinen Abbruch.
    Die Große Krise verstärkte in allen Ländern den Hang zur nationalen Abschottung. Die USA gaben dieser Neigung ohne zu zögern nach und huldigten, unter Roosevelt noch stärker als zuvor unter Hoover, einem Primat der Innenpolitik, der ganz nach dem Geschmack der Isolationisten war. Um nicht erneut in europäische Händel hineingezogenzu werden, ließ Washington die Diktatoren in Rom und Berlin gewähren. Die antijüdischen Ausschreitungen vom April 1933 in Deutschland wurden mit Besorgnis registriert, riefen aber keine massiven Reaktionen hervor. Hitler galt zu Beginn seiner Herrschaft in weiten Kreisen als ein eher gemäßigter Repräsentant der nationalsozialistischen Bewegung. Im November 1933 nahmen die Vereinigten Staaten als letzte westliche Großmacht diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion auf – ein Schritt, der der Regierung Roosevelt lebhaften Beifall der am Exportgeschäft interessierten Wirtschaftskreise einbrachte.
    Lateinamerika gegenüber setzte Washington unter der neuen demokratischen Administration die von Hoover eingeleitete «Politik der guten Nachbarschaft» fort. Im Dezember 1933 erklärte Außenminister

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