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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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der raschen Ausbreitung der Share-Our-Wealth-Clubs über das ganze Land – ihre Zahlbetrug im Februar 1935 27.000 – und der erfolgreichen Werbefeldzüge Longs bei den Farmern des Mittelwestens nahm man im Weißen Haus die offenkundigen Ambitionen des Senators auf das höchste Amt der Vereinigten Staaten durchaus ernst. Zur Nominierung Longs als Präsidentschaftskandidat einer dritten Partei kam es jedoch nicht mehr. Am 8. September 1935 wurde der Senator in Baton Rouge Opfer des Attentats eines linksstehenden jungen Arztes. Zwei Tage später erlag Long seinen schweren Schußverletzungen.
    Vielen Zeitgenossen hatte Long als potentieller amerikanischer Hitler gegolten, und noch häufiger war er dem Vorwurf ausgesetzt gewesen, ein faschistisches System nach Art Mussolinis in den USA errichten zu wollen. Doch die weitgehende Abschaffung aller für eine demokratische Repräsentativverfassung konstitutiven Elemente in Louisiana Huey Longs reicht kaum aus, sein Regime als faschistisch zu bezeichnen. Von den faschistischen Diktaturen unterschied es sich schon darin, daß es nicht gegen die organisierte Arbeiterschaft gerichtet war. Indem Long die traditionelle Oberschicht aus ihrer politischen Führungsrolle verdrängte, blieb er vielmehr durchaus der populistischen Tradition treu. Sein Regime trug manche Züge einer Entwicklungsdiktatur lateinamerikanischen Typs. Ein solches System hatte wohl nur unter den besonderen Bedingungen Louisianas entstehen können. Bei einem Versuch, es auf die Vereinigten Staaten zu übertragen, wäre Long mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gescheitert.
    Long war nicht der einzige Agitator, der 1934 Massen gegen die Politik der Roosevelt-Administration zu mobilisieren versuchte. In der gleichen Absicht und mit beträchtlichem Erfolg betätigte sich Father Charles Coughlin, ein katholischer Priester aus Holy Oak in Michigan, der mit seinen regelmäßigen, seit 1930 überall in den USA ausgestrahlten Rundfunkansprachen zeitweilig ein Publikum von 40 Millionen Menschen erreichte. Wie Long hatte Coughlin als Anhänger Roosevelts und des New Deal begonnen, um dann seit 1934 eine immer schärfere Sprache gegenüber dem Präsidenten anzuschlagen. Über die mangelnde Würdigung seiner rhetorischen Hilfsdienste für Roosevelt enttäuscht, konzentrierte Coughlin seine Attacken auf das nach seiner Ansicht zu langsame Tempo beim Kampf gegen die Depression, die nicht ausreichenden Schutzmaßnahmen für die Farmer und die unverändert große Macht des Finanzkapitals. Seine Kampagne stellte er folgerichtigeinmal auf das agrarische Amerika ab, das dem modernen Kapitalismus innerlich fremd gegenüberstand, zum anderen auf die städtische Unterschicht, soweit sie sich vom New Deal nicht hinlänglich berücksichtigt sah. In diesem Milieu fand Coughlin, als er sich im November 1934 in der National Union for Social Justice eine politische Plattform schuf, auch die meisten Anhänger: neben Farmern im mittleren Westen schlecht entlohnte Arbeiter und Arbeitslose im Nordosten, während «small business» weniger stark in Erscheinung trat.
    Das Programm der neuen Vereinigung forderte unter anderem einen gerechten Mindestlohn für jede Art von Arbeit, gerechte Preise für die Farmer, die ausschließliche Zuständigkeit des Kongresses für Fragen der monetären Politik, das Koalitionsrecht für die Arbeiter bei gleichzeitiger Pflicht des Staates, die Organisationen der Arbeiter vor den «vested interests of wealth and intellect» zu schützen. Der radikalste Programmpunkt bestand in der Forderung nach einer Nationalisierung von solchen Wirtschaftssektoren, «die ihrer Natur nach zu wichtig sind, um von Privatpersonen kontrolliert zu werden» – gemeint waren Energieversorgung und Bodenschätze. In allen übrigen Bereichen sollte das Privateigentum unangetastet bleiben.
    Ihre regionalen Schwerpunkte hatte die National Union for Social Justice in katholischen Stadtbezirken der Staaten Massachusetts und New York, wo es 1935 viermal so viele lokale Untergruppen gab wie in den agrarisch-protestantisch geprägten Staaten Minnesota und Wisconsin. Coughlin griff damit über das Einzugsfeld des agrarischen Populismus vor 1900 weit hinaus. Seine das unverdorbene Volk gegen die korrupten Führungsschichten ausspielende Rhetorik, der Ruf nach einer Silberwährung – im Effekt einer Politik des leichten Geldes also – und die direkte Berufung auf Wortführer des Farmerprotests des späten 19. Jahrhunderts

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