Geschichte des Westens
hatte er mehr Stimmen auf sich ziehen können als der Amtsinhaber. Der «Unionist» William Lemke verbuchte 2,0, der Sozialist Norman Thomas 0,4, der Kommunist Earl Browder 0,2 Prozent.
Father Coughlin hatte im Wahlkampf erklärt, er würde aufhören, Rundfunkansprachen zu halten, wenn es ihm nicht gelinge, Lemke 9 Millionen Stimmen einzubringen. Tatsächlich mußte sich der Kandidat der Union Party mit weniger als 900.000 Stimmen begnügen. Für kurze Zeit hielt sich Coughlin an sein Versprechen. Dann nahm erseine Agitation redend und schreibend mit extremeren Botschaften als je zuvor wieder auf. 1938 bezeichnete er sich offen als Antisemit und Kommunismus und internationales Finanzkapital als verschiedene Formen derselben jüdischen Weltverschwörung. In seiner Zeitschrift «Social Justice» druckte er die «Protokolle der Weisen von Zion», eine antisemitische Fälschung, ab. Er gründete einen neuen rechtsradikalen Kampfbund, die «Christian Front», die antijüdische Demonstrationen organisierte und Waffenlager anlegte, und feierte Hitler, Mussolini und Franco als Retter der abendländischen Kultur. 1940 wurde seine «Christian Front» verboten. 1942 mußte er auf Grund öffentlichen Drucks und eines kirchlichen Verbots seine Rundfunkreden einstellen. Damit endete die politische Betätigung des Pfarrers der Gemeinde von Holy Oak.
Roosevelts triumphale Wiederwahl fiel in eine Zeit, in der es schien, als habe Amerika wirtschaftlich das Schlimmste hinter sich. Das Nationaleinkommen war gegenüber 1933 um 50 Prozent gestiegen, die Zahl der Arbeitslosen sank 1936 erstmals seit 1932 wieder unter die 10-Millionen-Grenze und lag jetzt mit 16,9 Prozent um 8 Prozentpunkte unter dem Höchststand von 1933. Der Dow-Jones Industrial Index übertraf 1936 den Stand von 1933 um 80 Prozent. Für die Automobilindustrie war 1936 das erfolgreichste Jahr seit 1929. Der Aufschwung war so bemerkenswert, daß Winthrop Aldrich, der Mann an der Spitze der Chase Manhattan Bank, bereits vor der Gefahr einer Inflation warnen konnte.
Die wirtschaftliche Erholung war eine relative; von einer endgültigen Überwindung der Depression konnte, wie sich bald zeigen sollte, 1936 noch nicht gesprochen werden. Der Anteil, den Gesetze und Maßnahmen der Regierung an der Behebung der Konjunktur hatten, ließ sich nicht exakt bestimmen. Leichter war es, das zu benennen, was der New Deal nicht erreicht hatte: Es gab keine Umverteilung der Einkommen und keine energischen Maßnahmen zur Durchsetzung der faktischen Gleichberechtigung von Männern und Frauen; die rassische Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung hielt an; die untersten Schichten der Gesellschaft wie Slumbewohner, arbeitslose Schwarze, landwirtschaftliche Saisonarbeiter und kleine Pächter hatten, weil kaum oder gar nicht organisiert, an der politischen Willensbildung nach wie vor keinen Anteil; den «American Indians» wurde zwar durch den Indian Reorganization Act von 1934 das Recht zurückgegeben,kollektives Grundeigentum zu besitzen und eigene Stammesregierungen zu wählen, das Land, das sie besaßen, war aber in der Regel von so schlechter Qualität, das weiße Amerikaner daran kein Interesse hatten.
Teils waren es politische Widerstände, die die New Dealer daran hinderten, mehr zu erreichen, teils war es ihre innere Bindung an den «American way of life», die sie davon abhielt, radikalere Veränderungen anzustreben. Immerhin konnten sie sich zugute halten, daß das Risiko, aus purer Not zu verhungern, inzwischen sehr viel geringer war als vor 1933. Sie hatten Amerika ein wenig sozialer, genauer gesagt: sozialstaatlicher, und damit «europäischer» gemacht. Sie hatten die Modernisierung der USA durch die Elektrifizierung großer ländlicher Regionen vorangetrieben. Ihr größter Erfolg aber war die Überwindung der psychologischen Depression, die die Vereinigten Staaten nach 1929 befallen hatte. Und weil Amerika bald nach dem Regierungsantritt Roosevelts wieder an sich zu glauben begann, war das demokratische System während der Weltwirtschaftskrise niemals ernsthaft in Gefahr geraten. Darin lag der fundamentale Unterschied zwischen den USA und jenen europäischen Staaten, die sich in den zwanziger oder frühen dreißiger Jahren in Diktaturen verwandelt hatten.
Viele Zeitgenossen sahen freilich Amerika unter Roosevelt sich in eine Richtung entwickeln, die der Italiens unter Mussolini und Deutschlands unter Hitler ähnlich war. Ein linksliberaler Publizist wie I. F. Stone
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