Geschichte des Westens
18. Jahrhundert entwickelt worden waren und der klassizistischen Bautradition Amerikas entsprachen. Die Wirtschaftskrise förderte aber in vielen Ländern, unabhängig vom politischen System, den Hang zu Demonstrativbauten, die die gewachsene Bedeutung der Staatsgewalt unterstreichen sollten und insofern «postliberal» wirken. In den Worten des Kulturhistorikers Wolfgang Schivelbusch: «Egal ob es sich um bolschewistisch und faschistisch umgekrempelte oder um kapitalistisch-demokratisch reparierte Gesellschaften handelte, sie bedurften gleichermaßen einer Architektur, die dem Gemeinwesen, für das oder besser über dem sie sich tempelartig erhob, Vertrauen, Respekt, ja religionsähnlichen Sinn und Zusammenhalt vermittelte und auch dem Rest der Welt klarmachte, wer sie waren.»
Die Ähnlichkeiten der Anti-Depressions-Architektur verweisen auf gleichartige Herausforderungen der Krisenjahre. Die Antworten aus Rom, Berlin und Washington aber waren, wo immer es um die politischen Grundlagen des Gemeinwesens ging, denkbar unterschiedlich. Die Vereinigten Staaten vollzogen keinen Regimewechsel, sondern festigten ihre Demokratie durch Reformen. Sie behielten ihre Verfassung, die 1933.146 Jahre alt wurde, und gaben nichts von dem preis, was ihren Gründervätern als wesentlich erschienen war. Eine derart ungebrochene demokratische Tradition und eine durch sie geprägte politische Kultur kannten nur wenige europäische Länder. Italien undDeutschland gehörten nicht dazu. Wäre es anders gewesen, hätten sie der Errichtung der Diktatur wohl mehr Widerstand entgegengesetzt.[ 1 ]
Machtergreifung als Prozeß:
Die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur 1933/34
An der Spitze der deutschen Reichsregierung stand seit dem 30. Januar 1933 ein Mann, der sich als den von der Vorsehung auserwählten Erlöser der Deutschen und damit zugleich der germanischen Rasse betrachtete. Erlösen wollte er die Deutschen nicht nur von der Schmach des Versailler Vertrags, vom Marxismus, Liberalismus und Parlamentarismus, sondern vom Bösen schlechthin, das sich der unterschiedlichsten Masken bediente, um sein Zersetzungswerk zu tarnen: dem internationalen Judentum. Der Marxismus war aus Hitlers Sicht nur eine, aber die bislang erfolgreichste Verkleidung des Juden: Sie hatte ihm zur Beherrschung der Arbeiterschaft verholfen. Die Arbeiter dem Einfluß des internationalistischen Marxismus zu entreißen und für die Sache der Nation zu gewinnen konnte folglich nur einer Bewegung und einem Führer gelingen, die zum rücksichtslosen Kampf gegen das Judentum entschlossen waren.
Als ein solcher Führer wußte sich Adolf Hitler. In «Mein Kampf» hatte er während seiner Landsberger Festungshaft 1924 den Glauben an seine Sendung in Worte gefaßt, die so apokalyptisch gemeint waren, wie sie klangen: «Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen. Die ewige Natur rächt unerbittlich die Übertretung ihrer Gebote. So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln.
Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.»
Die sakrale Wendung machte deutlich, was der Nationalsozialismus nach dem Willen seines Führers sein sollte: eine innerweltliche «ecclesia militans», außerhalb deren es kein Heil gab – eine totalitäre Religion, in ihrem Totalitätsanspruch nur dem italienischen Faschismus auf der einen und dem Sowjetkommunismus auf der anderen Seite vergleichbar. Als totalitäres Regime war der Nationalsozialismus eineDiktatur neuen Typs, die sich von autoritären Systemen, europäischen oder lateinamerikanischen Militärdiktaturen etwa, deutlich unterschied. Neu waren gegenüber den herkömmlichen Diktaturen vor allem die Mobilisierung der Massen und der Anspruch auf den ganzen Menschen, der zu einem «neuen Menschen» erzogen werden sollte. Ein solches System gab es in Deutschland am 30. Januar 1933 und in den ersten Wochen danach noch nicht. Aber wer Hitlers öffentliche Bekundungen aus der «Kampfzeit» ernst nahm, wußte, daß es ihm um die Errichtung eines Regimes ging, das mindestens so «totalitär» sein würde wie das faschistische System Benito Mussolinis.
Mit dem italienischen Faschismus hatte der deutsche Nationalsozialismus vieles gemein: radikalen Nationalismus, Antimarxismus und
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