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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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meinte schon 1933, Roosevelts Politik werde als Ganzes nur unter der Hypothese verständlich, daß er sich auf den Faschismus zubewege. Der Sozialistenführer Norman Thomas fand 1934, die Wirtschaftspolitik des New Deal sehe dem Korporativismus Mussolinis und Hitlers Totalitarismus zum Verwechseln ähnlich. Im gleichen Jahr nannte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei der USA, Earl Browder, Roosevelts Programm eines «des Hungers, der Faschisierung und des imperialistischen Krieges»; es sei seinem politischen Wesen und seiner Richtung nach dasselbe wie Hitlers Programm.
    Doch man mußte nicht links stehen, um den New Deal in die Nähe von Faschismus oder Nationalsozialismus zu rücken. Der demokratische Senator Carter Glass aus Virginia prangerte 1933 im Zusammenhang mit den «codes» der NRA «die äußerst gefährlichen Bemühungen der Bundesregierung in Washington» an, «den Hitlerismus injeden Winkel des Landes zu verpflanzen» (to transplant Hitlerism to every corner of this nation). Ein isolationistischer Republikaner wie der Senator Arthur Vandenberg aus Michigan hatte 1934 keine Bedenken, die Ermächtigung des Präsidenten, Zollsätze nach dem Prinzip der Reziprozität zu senken, «faschistisch in ihrer Philosophie, faschistisch in ihrer Zielsetzung» zu nennen. Der Kongreßabgeordnete J. W. Taylor, ein Parteifreund Vandenbergs, erklärte in einer Rede, die er am 18. Juni 1934 anläßlich des Geburtstags von Abraham Lincoln im Repräsentantenhaus hielt, unter Hinweis auf die Machtverlagerung vom Kongreß zur Exekutive, er sei zum Zeugen der Entstehung einer Diktatur geworden, «die die Nasen von Herrn Hitler, Stalin, Mussolini und Mustafa Kemal in der Türkei grün vor Neid färben mußte. Unabhängigkeit in der Privatwirtschaft gehört der Vergangenheit an, und individuelle Freiheit ist nur noch eine Erinnerung.»
    Roosevelts amerikanische Gegner waren nicht die einzigen, die dem New Deal eine große Nähe zu Faschismus und Nationalsozialismus unterstellten. Kein Geringerer als Benito Mussolini entdeckte in einer Rezension der italienischen Ausgabe von Roosevelts Buch «Looking Forward» im «Popolo d’Italia» vom 7. Juli 1933 Ähnlichkeiten zwischen dem faschistischen Italien und den USA des New Deal. «Der Appell an die Jugend und die Entschlossenheit und männliche Nüchternheit, mit der hier der Kampf aufgenommen wird, erinnern an die Art und Weise, in der der Faschismus das italienische Volk erweckt hat … An den Faschismus erinnert, daß der Staat die Wirtschaft sich jetzt nicht mehr selber überläßt, weil ihr Wohlergehen mit dem des Volkes identisch ist. Die Stimmung dieses Umbruchs ähnelt zweifellos der des Faschismus. Mehr läßt sich jedoch gegenwärtig nicht sagen.»
    Ähnlich positiv äußerte sich das Organ der deutschen Nationalsozialisten. Am 17. Januar 1934 bekannte der «Völkische Beobachter»: «Auch wir deutschen Nationalsozialisten schauen nach Amerika … Roosevelt macht Experimente, und sie sind kühn. Auch wir fürchten die Möglichkeit ihres Fehlschlags.» Am 21. Juni 1934 bescheinigte das Blatt dem amerikanischen Präsidenten: «Roosevelt hat auf einer schmalen und unzureichenden Basis alles nur Menschenmögliche erreicht.»
    Gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Amerika Roosevelts und den Diktaturen Mussolinis und Hitlers sind in der Tat offenkundig. Die Stärkung der Exekutivgewalt, die staatliche Lenkung der Wirtschaft,der Kult der Arbeit und eine kriegerische Rhetorik im Kampf gegen die Wirtschaftskrise, die pathetische Berufung auf die historische Sendung der eigenen Nation: All das gab es nicht nur in Italien und Deutschland, sondern nach 1933 auch in den USA. Wer der National Mall entlang durch das Zentrum der amerikanischen Hauptstadt wandert, findet es noch heute geprägt von klassizistischen Monumentalbauten, die meist aus den Jahren 1933 bis 1939 stammen und auffallend der Staatsarchitektur des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland ähneln – von Bauten wie dem Ensemble des Federal Triangle mit der National Gallery, den National Archives, dem Supreme Court, dem Komplex der Smithsonian Institution, dem Jefferson Memorial, vielen Ministerien und Behörden.
    Die Architekten der New-Deal-Periode brauchten allerdings nicht bei ihren Kollegen aus europäischen Diktaturen in die Lehre zu gehen, um monumental zu bauen. Sie verwirklichten Pläne, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, ja teilweise schon im ausgehenden

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