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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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vielen von der WPA errichteten öffentlichen Gebäuden wie Bibliotheken und Postämtern. Ein beliebtes Motiv waren dabei Arbeiter in Heldenpose, die von ferne an den sowjetischen «Proletkult», mitunter auch an zeitgenössische «Kunstwerke» aus Deutschland und Italien erinnerten.
    Bis Ende Mai 1935 war erst eines der Gesetze des «Second New Deal», die Relief Bill, vom Kongreß verabschiedet worden, was seinen Hauptgrund im Widerstand «progressiver» Senatoren und Abgeordneter gegen die nach ihrer Meinung allzu unternehmerfreundliche Politik des Präsidenten hatte. Am 27. Mai 1935 erlebte die Regierung Roosevelt ihren bisher schwersten Rückschlag: Der Oberste Gerichtshof erklärte in einer einstimmig ergangenen Entscheidung den National Industrial Recovery Act für verfassungswidrig. Ausgelöst hatten den Richterspruch die Gebrüder Schechter in Brooklyn, die lebendes Geflügel an koschere Schlachthäuser lieferten und unter anderem wegen der Verletzung von «codes», betreffend Mindestlöhne und Arbeitszeiten, nach Absatz 7 (a) des Gesetzes vom 16. Juni 1933 verurteilt worden waren. Der Supreme Court stufte die wirtschaftliche Betätigung der Firma Schechter als «intrastate commerce» (innerstaatlichen Handel) und nicht als «interstate commerce» (zwischenstaatlichen Handel) ein und bestritt der Bundesregierung damit das Recht, hier gesetzgeberisch tätig zu werden. Durch diese restriktive Auslegung der «commerce»-Bestimmung in Artikel 1 der Verfassung der Vereinigten Staaten stellte das Gericht einen Großteil der New-Deal-Gesetze in Frage. Die Schlagzeile der Londoner «Daily Express» traf ins Schwarze:«Amerika wie betäubt; Roosevelts Arbeit von zwei Jahren in zwanzig Minuten vernichtet» (America Stunned; Roosevelt’s Two Years’ Work Killed in Twenty Minutes).
    Hinter dem Urteil vom 27. März 1935 standen nicht nur die konservativen Richter, die zusammen mit sogenannten «middle-of-the-roaders» über eine knappe Mehrheit verfügten, sondern auch erklärte «progressives» wie Louis D. Brandeis und Benjamin N. Cardozo. Für sie war die Schwächung des Wettbewerbs durch die monopolfreundlichen Bestimmungen des National Industry Recovery Act Anlaß zu juristischem Einspruch. Bei ihren weiteren Urteilen gegen New-Deal-Gesetze waren die eher konservativen Richter unter sich: Die Entscheidungen ergingen mit einer Mehrheit von 5 zu 4 oder 6 zu 3 Stimmen. Die öffentliche Meinung stellte sich überwiegend gegen die Urteile des Supreme Court, lehnte aber auch die Absicht des Präsidenten ab, durch Gesetz die Zahl der Richter dadurch zu erhöhen, daß für jeden Richter, der das 70. Lebensjahr überschritten hatte, ein zusätzlicher Richter bestellt wurde. Im März 1937 lehnte der Kongreß einen entsprechenden Gesetzentwurf des Präsidenten ab. Kurz darauf löste sich aber der Konflikt zwischen dem Gericht und der Regierung auf überraschende Weise:
Ein
gemäßigt konservativer Richter, Owen J. Roberts, wechselte seinen Standort und schloß sich seinen liberalen Kollegen an. Bald darauf traten mehrere Richter der bisherigen Mehrheit zurück. Sie wurden durch liberale ersetzt. Der Oberste Gerichtshof hörte auf, ein Bollwerk der New-Deal-Gegner zu sein.
    «FDR» hatte sich schon kurz vor dem Urteilsspruch vom 27. Mai 1935, auf Grund einer unverblümten Kampfansage der United States Chamber of Commerce von Anfang Mai, zu der Einsicht durchgerungen, daß er einer offenen Konfrontation mit «big business» nicht länger ausweichen konnte. Die Aufhebung der National Industrial Recovery Act durch den Supreme Court war nur noch der letzte Anstoß für eine neue politische Offensive, die von Historikern mitunter die «zweiten hundert Tage» Roosevelts genannt wird. Anfang Juni ließ der Präsident den Kongreß wissen, daß er auf eine rasche Verabschiedung mehrerer wichtiger Gesetze Wert lege, darunter der Social Security Bill, der Public Utility Holding Company Bill und des Entwurfs eines neuen Bankgesetzes. Senat und Repräsentantenhaus kamen dem Drängen nach, so daß alle Gesetze noch 1935 in Kraft treten konnten.
    Überraschend war, daß der Präsident sich nunmehr auch für ein bislang von ihm und Arbeitsministerin Perkins mit Skepsis aufgenommenes Vorhaben aussprach: den von dem demokratischen Senator Robert Wagner, einem geborenen Deutschen, vorgelegten Entwurf eines National Labor Relations Act. Wagners Bill war der «radikalste» Gesetzesentwurf der gesamten New-Deal-Ära. Sie erhob das Prinzip

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