Geschichte des Westens
Zentrums und der Fortschrittlichen Volkspartei. Die MSPD, gespalten zwischen Gegnern, Befürwortern und «Neutralen», enthielt sich der Stimme. Nur die USPD stimmte mit Nein. Zusammen mit den beiden anderen «Mehrheitsparteien» hatten die Mehrheitssozialdemokraten zuvor eine Resolution verabschiedet, die die Erwartung aussprach, das Reich werde dem Selbstbestimmungsrecht Polens, Litauens und Kurlands Rechnung tragen.
Mit dem Diktat von Brest-Litowsk durchaus vergleichbar war der Friede von Bukarest, den die Mittelmächte zwei Monate später, am 7. Mai 1918, mit Rumänien abschlossen. Das besiegte Land mußte dieganze Dobrudscha abtreten, von der das verbündete Bulgarien aber nur den südlichen Teil erhielt; der nördliche wurde der Verwaltung der Siegermächte unterstellt. Deutschland und Österreich-Ungarn erhielten besondere Rechte bei der Ausbeutung der Ölquellen, und auf die Dauer von zwei Jahren sicherten sich die beiden Mächte sämtliche Agrarüberschüsse Rumäniens. Gewissermaßen als Ausgleich durfte Rumänien das im April annektierte, zuvor zu Rußland gehörende Bessarabien behalten. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Richard von Kühlmann, hatte durchaus recht, als er im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates das wesentliche Ergebnis des Bukarester Friedens mit den Worten beschrieb, in wirtschaftlicher Hinsicht sei Rumänien nunmehr als Kolonie der Mittelmächte anzusehen.
Am 7. März 1918, vier Tage nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk, billigte der 7. Parteitag der «Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki)», so der hier beschlossene neue Parteiname, die russische Kapitulation. Lenin konnte die Delegierten davon überzeugen, daß die Unterwerfung unter die deutschen Bedingungen notwendig gewesen war, um dem Sowjetsystem zu einer «Atempause» zu verhelfen. Die eigentliche Rettung freilich konnte, wie Lenin dem Parteitag darlegte, nur die «Revolution in ganz Europa» sein, beginnend mit der deutschen Revolution, die leider nicht so rasch voranschreite, wie die Bolschewiki sich das wünschten. Aber es bleibe «absolut wahr, daß wir ohne die deutsche Revolution zugrunde gehen». Weil diese Revolution noch nicht gekommen sei und Rußland über keine einsatzfähige Armee verfüge (das Dekret über den Aufbau einer neuen, der Roten Armee war erst am 20. Februar ergangen), sei ein «Tilsiter Friede», ein Friede von der Art, wie Napoleon ihn 1807 dem besiegten Preußen auferlegt hatte, unvermeidlich geworden. Jetzt komme es darauf an, eine neue Armee aufzubauen, das Kriegswesen gründlich zu erlernen und Ordnung auf den Eisenbahnen zu schaffen. Die besten Lehrmeister seien dabei die Deutschen. «Lernt bei den Deutschen Disziplin, sonst sind wir ein verlorenes Volk und werden uns ewig in der Sklaverei befinden.»
Disziplin mußte notfalls auch mit terroristischer Gewalt erzwungen werden. Auf dem Höhepunkt der deutschen Offensive, am 21. Februar 1918, hatte der Rat der Volkskommissare den von Trotzki, dem neuen Kriegskommissar, verfaßten und von Lenin unterzeichneten Aufruf «Das sozialistische Vaterland ist in Gefahr!» erlassen (und damit bewußtauf den berühmten Aufruf der französischen Nationalversammlung vom 11. Juli 1792 Bezug genommen). Darin wurden die Arbeiter und Bauern von Petrograd und Kiew und allen Gebieten im Bereich der neuen Front verpflichtet, Bataillone aufzustellen, um unter Führung militärischer Fachleute Schützengräben auszuheben. In diese Bataillone mußten «alle arbeitsfähigen Mitglieder der bürgerlichen Klasse, Männer und Frauen, unter Aufsicht von Rotgardisten eingereiht werden; wer sich widersetzt, ist zu erschießen». Der Aufruf schloß mit den Worten: «Feindliche Agenten, Spekulanten, Einbrecher, Rowdys, konterrevolutionäre Agenten und deutsche Spione sind am Tatort zu erschießen. Das sozialistische Vaterland ist in Gefahr! Es lebe das sozialistische Vaterland! Es lebe die sozialistische Weltrevolution!»
Das Gefühl der Bedrohung ließ auch nach dem Friedensschluß von Brest-Litowsk nicht nach, und es war begründet. Am 9. März landeten britische Truppen im Eismeerhafen Murmansk. Dort lagerte von den Westmächten geliefertes Kriegsmaterial, das die Entente nicht in die Hände des ehemaligen Verbündeten fallen lassen wollte. Am 12. März verlegte der Rat der Volkskommissare seinen Sitz vom strategisch bedrohten Petrograd in das vergleichsweise sichere Moskau, das nun wieder zu dem wurde, was es vor
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