Geschichte des Westens
Auseinandersetzungen eine Mehrheit für Trotzkis Linie. Am 10. Februar erklärte dieser, inzwischen nach Brest-Litowsk zurückgekehrt, den Krieg für beendetund brach die Verhandlungen ab. Die deutsche Seite antwortete am 16. Februar mit einem Ultimatum an die Sowjetregierung, das diese unbeantwortet ließ. Am 18. Februar machten die Deutschen ernst und gingen zum Angriff über. Lenin kämpfte nochmals mit vollem Einsatz für die Annahme der Friedensbedingungen, und diesmal setzte er sich mit 7 von 13 Stimmen im Zentralkomitee durch. Die deutsche Regierung wurde telegraphisch informiert, daß der Rat der Volkskommissare bereit sei, die Friedensbedingungen zu akzeptieren und sich zu etwaigen neuen Bedingungen sofort zu äußern.
Die deutsche Antwort vom 22. Februar ging über das bisher Bekannte noch hinaus. Neben der Aufgabe des gesamten Baltikums und Finnlands sollte Rußland die von der Zentralen Rada am 22. Januar verkündete Unabhängigkeit der Ukrainischen Volksrepublik anerkennen, was Deutschland bereits am 10. Februar in einem Sonderfrieden getan hatte. (Diese Forderung schloß auch den Rückzug der bolschewistischen Truppen ein, die am 9. Februar Kiew besetzt hatten.) Tatsächlich war die Ukraine mittlerweile ein deutsches Protektorat. Während ihrer Offensive besetzten die deutschen Truppen außer dem restlichen Baltikum auch große Teile Weißrußlands und der Ukraine, darunter am 2. März die Hauptstadt Kiew.
Einen Tag später erfolgte in Brest-Litowsk, nachdem Lenin für den Fall der Ablehnung mit seinem Rücktritt als Parteiführer und Vorsitzender des Rats der Volkskommissare gedroht hatte, die Unterzeichnung des Friedensvertrages. Es war ein brutales Diktat. Rußland verlor ein Drittel seiner Bevölkerung und seines Ackerlandes, über die Hälfte seiner gesamten Industrie, darunter drei Viertel seiner Schwerindustrie, acht Zehntel seiner Eisenvorräte und neun Zehntel seiner Kohleförderung. Durch die Bildung eines unabhängigen ukrainischen Staates und die Abtretung grusinischer und armenischer Gebiete an die Türkei wurde seine Position am Schwarzen Meer erheblich geschwächt. Zur Ostsee verblieb ihm nach der Besetzung des gesamten Baltikums durch deutsche Truppen nur noch ein schmaler Zugang.
Nachdem Rußland bezwungen war, setzten die Mittelmächte, ohne Rücksicht auf den Vertrag von Brest-Litowsk, ihren Vormarsch im Kaukasus fort, wobei das Deutsche und das Osmanische Reich in einen konfliktträchtigen Wettlauf eintraten: Deutsche Truppen besetzten im Juni 1918 Tiflis, türkische im September Baku und seine Erdölfelder. Die Demütigung des geschlagenen Landes ging auch in anderenBereichen weiter: Durch zusätzliche Verträge mußte sich Rußland Ende August 1918 zur Zahlung von 6 Milliarden Goldmark verpflichten und definitiv auf die nordbaltischen Provinzen Livland und Estland verzichten. Wie zuvor schon im Fall Kurlands waren es auch jetzt wieder die deutschbaltische Oberschicht und ihre im Reich lebenden Repräsentanten, die besonders massiv auf die Abtretung «ihrer» Territorien und deren Germanisierung drängten.
Die öffentliche Meinung Deutschlands hätte sich aber wohl auch ohne diesen Einfluß leicht davon überzeugen lassen, daß es notwendig war, in Gestalt der «Randstaaten» Ostmitteleuropas einen Sicherheitsgürtel gegenüber Sowjetrußland zu schaffen. Einer der «Randstaaten» war Finnland, wo deutsche Truppen und ein eigens für diesen Zweck gebildetes «Hilfskorps Mannerheim» den «Weißen» zu Hilfe kamen und ihnen im Mai 1918 zum Sieg verhalfen. In einem anderen «Randstaat», der Ukraine, löste die deutsche Protektoratsmacht im April 1918 die von den Sozialisten beherrschte Zentral-Rada ab. An ihre Stelle trat eine konservative Regierung unter dem «Hetman» Pavlo Skoropadsky. Sie gab dem Staatsnamen «Ukrainische Volksrepublik» auf und ersetzte ihn durch den Namen «Ukrainischer Staat». Die Unterstützung der Mittelmächte erkaufte sich das Skoropadsky-Regime mit umfangreichen Getreidelieferungen.
Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk brachte Deutschland dem Kriegsziel eines von ihm beherrschten Mitteleuropa so nahe, wie es Anfang 1918 nur irgend möglich war, und verstieß damit eklatant gegen die Friedensresolution des deutschen Reichstags vom 19. Juli 1917. Dennoch stimmte die Volksvertretung am 22. März 1918 dem Vertragswerk mit großer Mehrheit zu. Unter den Ja-Stimmen waren auch die der beiden bürgerlichen «Mehrheitsparteien», des
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