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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Fabrikdirektoren gegen überhöhte Planziffern zu brechen. Dieser Aufgabe widmeten sich die bei den übrigen Werktätigen verhaßten Stachanow-Arbeiter mit solcher Leidenschaft, daß die Zahl der von ihnen denunzierten und von den Sicherheitsorganen zur Rechenschaft gezogenen Wirtschaftsfunktionäre explosionsartig wuchs. Im Donbass wurde bis zum April 1938 ein Viertel aller Ingenieure und Manager verhaftet und liquidiert.
    Die Stachanow-Bewegung hatte ihren tieferen Grund darin, daß sich das Wachstum der sowjetischen Industrieproduktion in den Jahren 1933 bis 1936 verlangsamt hatte. Das lag auch daran, daß die Sollzahlen des zweiten Fünfjahresplans von 1933 gegenüber dem ersten von 1929 gesenkt worden waren, vor allem aber am massenhaften Zustrom ungelernter, an industrielle Arbeitsdisziplin nicht gewöhnter dörflicher Arbeitskräfte in die Städte und Fabriken. Das Regime antwortete mit drakonischen Strafen auf Bummelei am Arbeitsplatz, Pfusch und Trunksucht. Auf dem Land richtete sich der Terror 1937 vor allem gegen Kolchosvorsitzende und Agrotechniker. In Schauprozessen mußten sie sich wegen Ernteausfällen und der Erzeugung von Unzufriedenheit bei den Bauern verantworten.
    In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre sah sich das Regime erneut mit der Kulakenfrage konfrontiert. Seit 1935 kehrten zahlreiche ehemaligen Großbauern in ihre Dörfer zurück. 78.000 Kulaken und Geistliche fielen unter eine im August 1935 erlassene Amnestie, die ihnen die Rückkehr gestattete. Die meisten Kulaken wurden von den Dorfbewohnern in die Kolchosen aufgenommen. Ein sehr viel größeres Problem stellten die fast 400.000 ehemalige Kulaken dar, die zwischen 1931 und 1937 aus den ihnen zugewiesenen Sondersiedlungen inSibirien entflohen waren. Vor allem östlich des Ural schlossen sich entwichene Kulaken, geflohene Häftlinge, Landstreicher und gewöhnliche Verbrecher zu Räuberbanden zusammen, die Überfälle auf Kolchosen, Eisenbahnzüge und Polizeistationen verübten und häufig auch nicht vor Vergewaltigung und Mord zurückschreckten. Im nördlichen Kaukasus ging die Gewalt von «unten» meist auf das Konto bewaffneter Banken von Tschetschenen und Inguschen.
    Im Juni 1937 erteilte das Politbüro der sibirischen Parteileitung den Befehl, die Mitglieder aller «konterrevolutionären Aufstandsorganisationen verbannter Kulaken» zu registrieren und die Aktivisten zu erschießen. Stalin präzisierte die Weisung in einem Telegramm vom 3. Juli 1937 in dem Sinne, daß die feindseligsten unter den Kulaken, Priestern, Kriminellen, ehemaligen Offizieren und Mitgliedern der vorrevolutionären Parteien zu liquidieren seien. Dem Zentralkomitee war innerhalb von fünf Tagen mitzuteilen, wer zu deportieren und wer zu erschießen sei. Die westsibirische NKWD-Leitung empfahl daraufhin in 11.000 Fällen Erschießung und in 15.000 Fällen Lagerhaft. Der Moskauer Parteichef Chruschtschow schlug dem Politbüro vor, 8500 Menschen erschießen zu lassen und 32.000 in ein Konzentrationslager einzuweisen. Auf Grund solcher Zahlenangaben erließ das Politbüro am 31. Juli 1937, demselben Tag, an dem Stalin freie und geheime Wahlen anordnete, den geheimen «Befehl 00447». Demnach waren Kulaken, die aus der Verbannung zurückgekehrt waren oder sich irgendwo versteckt hielten, Mitglieder ehemaliger antisowjetischer Parteien, Geistliche, Sektierer, Weißgardisten und führende Beamte des Zarenreiches, Banditen, Kriminelle sowie inhaftierte Wiederholungstäter festzunehmen. 75.950 waren zu töten, 193.000 in ein Lager der Lagerverwaltung GULag einzuliefern.
    In der Folgezeit ersuchten regionale NKWD-Chefs um die Erhöhung der Tötungsquoten, woraufhin das Politbüro seinerseits die Sollzahlen nach oben korrigierte. Ende Januar 1938 verlangte Stalin, bis Mitte März nochmals 57.200 Volksfeinde zu verhaften und 48.000 von ihnen zu erschießen, um die Zahl der Lagerhäftlinge zu vermindern. Etwa 30.000 Menschen, meist solche, die wegen politischer Delikte verurteilt worden waren oder gegen die Lagerordnung verstoßen hatten, fielen diesem Befehl zum Opfer. In Moskau wurden die Massentötungen auch auf Invaliden, Beinamputierte, Blinde und Tuberkulosekranke, in Leningrad auf Taubstumme ausgedehnt – allesamtMenschen, die in den Lagern als Arbeitskräfte nicht zu verwenden waren.
    Seit 1936 traf die kollektive Verfolgung auch ethnische Minderheiten, die antisowjetischer Umtriebe verdächtigt wurden – darunter Deutsche, Polen, Letten, Armenier,

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