Geschichte des Westens
Zeitplan Hitlers für den großen Krieg vor. Am 5. November 1937 entwickelte der «Führer und Reichskanzler» in einer Geheimrede in Gegenwart des Reichskriegsministers von Blomberg, des Außenministers von Neurath, der Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile, Fritsch für das Heer, Raeder für die Marine und Göring für die Luftwaffe, sowie des Wehrmachtadjutanten Oberst Hoßbach sein militärisch-strategisches Gesamtprogramm. Einer von Hoßbach fünf Tage später angefertigten Aufzeichnung zufolge konnte die deutsche Raumnot nach Hitlers Überzeugung nur noch auf dem Weg der Gewalt behoben werden. Die Rohstoffgebiete, die Deutschland für sein, von einem festen Rassekern beherrschtes Weltreich benötige, seien zweckmäßigerweise im unmittelbaren Anschluß an das Reich und nicht in Übersee zu suchen. Es sei sein, Hitlers, «unabänderlicher Entschluß, spätestens 1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen». Vielleicht müsse aber auch schon vorher gehandelt werden, falls es in Frankreich zum Bürgerkrieg komme oder das Land in einen Krieg mit einer dritten Macht gerate. Zur Verbesserung der militärisch-politischen Lage Deutschlands müsse in jedem Fall einer kriegerischen Verwicklung die Niederwerfung der «Tschechei» und Österreichs das erste Ziel sein. Dies sei notwendig, um die Flankenbedrohung eines etwaigen Vorgehens nach Westens auszuschalten.
Was Hitler den versammelten Ministern und Militärs vortrug, war im Kern nichts anderes als eine Kurzfassung seines in «Mein Kampf» entwickelten Lebensraumprogramms. Daß er als Reichskanzler an diesen Zielsetzungen festzuhalten entschlossen war, hatte er der militärischen Führung schon am 3. Februar 1933 klar gemacht. Seine Darlegungen vom 5. November 1937 dürften insoweit die Zuhörer kaum überrascht haben. Was einige, nämlich Neurath, Blomberg und Fritsch, zu Widerspruch veranlaßte, war zum einen Hitlers Annahme, Großbritannienund Frankreich würden einem deutschen Angriff auf die Tschechoslowakei tatenlos zusehen, zum anderen seine Hoffnung, im Gefolge des Spanischen Bürgerkrieges werde es demnächst zu einem Krieg Frankreichs und Großbritanniens gegen das faschistische Italien kommen. Die Bedenken des Außenministers scheinen besonders gravierend gewesen zu sein. Sie waren jedenfalls von Kritik an Hitler nicht mehr zu unterscheiden, so daß manches für die Vermutung spricht, Neurath habe an jenem Tag selbst den Grund für seine Entlassung Anfang Februar 1938 gelegt.
Anhaltspunkte für die Annahme, daß sich Hitler schon am 5. November 1937 auch zur Trennung von Blomberg und Fritsch entschlossen hätte, gibt es aber nicht. Daß sie drei Monate später nicht mehr im Amt waren, war die Folge von zwei unvorhergesehenen Affären. Sie gaben Hitler Anlaß, ein großes Revirement vorzunehmen, das sich vorzüglich eignete, Vorgänge von äußerster Peinlichkeit zu verschleiern. Die erste Affäre betraf die zweite Ehe des Kriegsministers: Am 21. Januar erfuhr Hitler, der neun Tage zuvor zusammen mit Göring Trauzeuge bei der Hochzeit Blombergs und Margarete Gruhns gewesen war, daß die Frau des Ministers früher als Modell für pornographische Aufnahmen und als Prostituierte gearbeitet hatte.
Unter den denkbaren Nachfolgern des kompromittierten Blomberg war der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch. Über ihn lag jedoch eine Polizeiakte vor, deren Vernichtung Hitler 1936 (vergeblich) angeordnet hatte. Darin war die Aussage eines Berufsverbrechers festgehalten, daß Fritsch wegen eines homosexuellen Vergehens erpreßt worden sei. Die Anschuldigung war, wie ein Kriegsgericht im März 1938 feststellte, falsch: Sie beruhte auf einer Namensverwechslung. Zunächst aber schien das, was die Gestapo auf Weisung Himmlers ermittelte, Fritsch zu belasten. Die Folge war, daß außer dem Reichskriegsminister auch der Oberbefehlshaber des Heeres sein Amt verlor – beide, wie es offiziell hieß, wegen ihres angegriffenen Gesundheitszustands.
Seit dem 4. Februar 1938 gab es keinen Reichskriegsminister mehr. Die Geschäfte des Reichskriegsministers nahm fortan das neu geschaffene Oberkommando der Wehrmacht wahr. An seine Spitze trat Hitler; ihm unmittelbar untergeordnet war der neue «Chef des OKW», der General der Artillerie Wilhelm Keitel, der im Rang einem Reichsminister gleichgestellt war. Zum Nachfolger von Fritsch berief HitlerGeneraloberst Walther von Brauchitsch. Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, wurde
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