Geschichte des Westens
Quellen zufolge zu einem erheblichen Teil auf den Druck der Arbeiter zurück. Dieser äußerte sich in unterschiedlichen Formen der Zurückhaltung von Arbeit – in Krankfeiern, achtloser Arbeit, Bummelantentum und Aufsässigkeit. Der Inhaber einer Dresdner Gerberei sprach im Sommer 1939, wohl ohne zu übertreiben, von einem «getarnten Streik». Mason nennt die sich häufenden Disziplinlosigkeiten «eigentlich eine Art von passiver politischer Opposition» und eine«primitive Form von Klassenkampf». Die zweite Formel ist vermutlich zutreffend, die erste hingegen eine Überinterpretation: Die Widerständigkeit der Arbeiter scheint in den seltensten Fällen politisch motiviert gewesen zu sein. Dennoch rief sie überall die Gestapo auf den Plan: Die Antwort des Regimes bestand aus forciertem Terror.
Eine weitere Steigerung der Rüstungsproduktion erschien im Sommer 1939 nach Lage der Dinge nicht mehr möglich. Die Politik des «Dritten Reiches» hatte ein paradoxes Resultat gezeitigt: Die fortschreitende Abnahme der Arbeitslosigkeit und die gestiegenen Einkommen, beides in erster Linie Folgen der Aufrüstung, führten zu einer Expansion des privaten Konsums, die schließlich auf Kosten der Aufrüstung ging. Den Konsum massiv zu beschränken erschien dem Regime politisch gefährlich. Aus diesem Dilemma gab es auf längere Sicht keinen anderen Ausweg mehr als kriegerische Expansion. Der Krieg wurde am 1. September 1939, wie wir noch sehen werden,
nicht
aus ökonomischen Gründen ausgelöst. Aber ohne Rückgriff auf militärische Gewalt hätte Deutschland seine Kriegswirtschaftspolitik schwerlich noch lange durchhalten können.
Als Hitler im August 1936 der deutschen Armee den Auftrag erteilte, innerhalb von vier Jahren einsatzfähig zu sein, beschwor er nur die Gefahr aus dem Osten, die Drohung des Bolschewismus. Über die westlichen Demokratien äußerte er sich abfällig, aber er bezeichnete sie nicht als künftige Kriegsgegner, und er wünschte auch keinen Krieg mit ihnen. Dem französischen Journalisten Bertrand de Jouvenel versicherte er im Februar 1935, während in Frankreich die Auseinandersetzung um die Ratifizierung des Beistandspaktes mit der Sowjetunion tobte, die Behauptung von der deutsch-französischen Erbfeindschaft sei «Unsinn»; die gegenteiligen Äußerungen in «Mein Kampf» gehörten längst der Vergangenheit an; die entsprechende Korrektur versprach er in das «große Buch der Geschichte» einzutragen.
Großbritannien, den Partner des Flottenabkommens vom 18. Juni 1935, umwarb Hitler nach wie vor als künftigen Bundesgenossen. Wenn er seit ebendieser Zeit die kolonialpolitische Propaganda des Reiches verstärkte, dann nicht, weil er in kolonialer Expansion ein vorrangiges Ziel deutscher Politik oder gar eine Alternative zur Eroberung von «Lebensraum» im Osten gesehen hätte. Die Kolonialfrage war für ihn vielmehr vor allem ein Mittel, mit dem er London unterDruck zu setzen gedachte: Großbritannien sollte in ein Bündnis einwilligen, das ihm freie Hand in Osteuropa ließ, während er das Empire als britische Interessensphäre anzuerkennen versprach.
Die größte Durchschlagskraft maß Hitler im Blick auf Westeuropa und Amerika dem militanten Antibolschewismus des Reiches bei. Wenn die westlichen Demokratien endlich lernten, in Deutschland das entscheidende Bollwerk gegenüber der von der Sowjetunion ausgehenden Gefahr zu sehen, würden sie sich mit der fortschreitenden Außerkraftsetzung der Friedensordnung von 1919 abfinden. Der Abschluß des französisch-sowjetischen Beistandspaktes vom Mai 1935 und die Bildung von Volksfrontregierungen, zuerst in Madrid im Februar, dann in Paris im Juni 1936, waren außenpolitische Rückschläge, die jedoch zugleich eine propagandistische Chance in sich schlossen: Hitler konnte hoffen, mit seinen antikommunistischen Parolen bei der Rechten in Frankreich und Spanien, aber auch in Großbritannien mehr Resonanz als bisher zu finden.
Zwei Monate nach dem Beginn des Spanischen Bürgerkrieges präsentierte sich der «Führer und Reichskanzler» am 13. September 1936 auf dem «Parteitag der Ehre» den Deutschen und der Welt abermals als Retter vor dem Bolschewismus. Die Kämpfe in Spanien rechnete er in apokalyptischer Manier zu den «Zeichen einer bösewerdenden Zeit»: «Was wir jahrelang predigten über die größte Weltgefahr dieses endenden zweiten Jahrtausends unserer christlichen Geschichte, wird furchtbare Wirklichkeit. Überall beginnt die
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