Geschichte des Westens
fähigen, auf große Panzerverbände gestützten Armee von Berufssoldaten, stießen dabei aber auf den hartnäckigen Widerstand der Generalität, an ihrer Spitze der neue Oberbefehlshaber General Gamelin und sein Vorgänger General Weygand, die weiterhin auf eine erfolgreiche Verteidigung an der Maginotlinie setzten.
Auf der äußersten Linken vollzog sich in Sachen Landesverteidigungim Mai 1935 ein bemerkenswerter Wandel: Während die Sozialisten auf internationaler Abrüstung und kollektiver Sicherheit im Rahmen des Völkerbundes beharrten, schwenkten die Kommunisten auf ein klares Ja zur nationalen Verteidigung um. Sie reagierten damit auf den französisch-sowjetischen Beistandspakt, den Außenminister Laval und der sowjetische Botschafter Potjomkin am 2. Mai 1935 in Paris unterzeichnet hatten, und ein sensationell wirkendes Kommunique zum Gegenbesuch Lavals in Moskau am 13. Mai: Darin erklärte Stalin namens der Sowjetunion, daß er die Politik der nationalen Landesverteidigung voll und ganz billige, die Frankreich mit dem Ziel verfolge, seine Streitkräfte auf dem Niveau zu halten, das für seine Sicherheit erforderlich sei.
Kurz darauf ging die knapp siebenmonatige Regierungszeit Flandins abrupt zu Ende: Am 30. Mai 1935 verweigerte die Deputiertenkammer dem Kabinett die erbetenen Krisenvollmachten, woraufhin Flandin zurücktrat. Am 7. Juni ernannte Präsident Lebrun Pierre Laval zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten; das Amt des Außenministers behielt der neue Regierungschef bei. Laval erhielt die Vollmachten, die die Kammer Flandin nicht hatte geben wollen, und nutzte sie sogleich für einschneidende Maßnahmen: Die Regierung senkte die Gehälter und Pensionen der Beamten um 10 Prozent und setzte die Tarife für öffentliche Dienstleistungen, Gas und Elektrizität, Mieten und Pachtzinsen ebenfalls um 10 Prozent herab.
Als Außenminister des Kabinetts Flandin hatte sich Laval im Januar 1935 bei einem Besuch in Rom mit dem von ihm bewunderten Mussolini auf ein kolonialpolitisches Arrangement verständigt: Der «Duce» akzeptierte den allmählichen Abbau der Vorrechte, die die Italiener in Tunesien genossen; Laval machte Italien einige territoriale Zugeständnisse in Nordafrika und sicherte Mussolini in einem Geheimgespräch «freie Hand» in Abessinien zu (eine Erklärung, die er später nur auf die wirtschaftliche Durchdringung des Kaiserreichs bezogen wissen wollte). Nach Beginn des Abessinienkriegs im Oktober 1935 wollte Laval Mussolini so weit entgegenkommen, daß man in London sogar argwöhnte, er sei vom «Duce» mit Geldzahlungen bestochen worden. Die Italien weit entgegenkommende Vereinbarung, die Laval am 8. Dezember auf dem britischen Außenminister Hoare traf, scheiterte, wie schon erwähnt, an den empörten Reaktionen der britischen Öffentlichkeit.
Auch in der französischen Deputiertenkammer mußte sich Laval Ende Dezember wegen seiner Haltung im Abessinienkrieg scharfe Kritik von seiten Léon Blums, des radikalen Abgeordneten Yvon Delbos und des konservativen Paul Reynaud anhören. Am 10. Januar 1936 verabschiedete die Kammer mit Zustimmung der Rechten ein Gesetz, das der Regierung das Verbot der bewaffneten Verbände aller politischen Richtungen erlaubte, und außerdem die Gesetzesbestimmungen verschärfte, die sich gegen Verleumdungen in der Presse richteten. Da Laval zögerte, entsprechende Maßnahmen zu treffen, rückten die Radicaux von ihm ab und bekräftigten ihre Zugehörigkeit zur «Volksfront», die am 14. Juli 1935 offiziell von den Parteien, Gewerkschaften und Vereinigungen der Linken sowie Künstlern und Intellektuellen wie André Gide, Pablo Picasso, Irène Joliot-Curie und Julien Benda aus der Taufe gehoben worden war. Auf Veranlassung der Parteiführung erklärten am 22. Januar 1936 Édouard Herriot, auch er ein entschiedener Kritiker der italien- und deutschlandfreundlichen Außenpolitik Lavals, und die anderen radikalen Minister ihren Austritt aus dem Kabinett, das damit seine parlamentarische Mehrheit verlor und demissionieren mußte.
Das neue Kabinett unter dem Radikalsozialisten Albert Sarraut war von vornherein als Übergangsregierung bis zu den Kammerwahlen gedacht, die im Mai 1936 stattfinden mußten. Das Außenministerium übernahm der frühere Ministerpräsident Flandin. Arbeitsminister wurde Ludovic-Oscar Frossard, der erste Generalsekretär der Kommunistischen Partei, der 1924 zur SFIO zurückgekehrt war und sich 1935 von dieser als Exponent
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