Geschichte des Westens
Kampf mit gewaltsamen Mitteln führten, war ihnen doch nichts fremder als der revolutionäre «appel au peuple», wie er für den italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus typisch war. Die monarchistische Action française und die Jeunesses Patriotes waren von ihrem sozialen Profil und Habitus her eher elitäre Bewegungen; die Feuerkreuzler um Oberst de la Rocque erwiesen sich, wenn es ernst wurde, als Legalisten. Sie standen in der Tradition entweder der Gegenrevolution oder des Bonapartismus und waren schon deswegen nicht willens, sich an außerfranzösischen Vorbildern zu orientierten.
Der Faschismus ist nach der prägnanten Deutung René Rémonds eine «entartete Form der Demokratie»; er bezieht «seine Legitimität aus der Berufung auf die Souveränität des Volkes, das diese Souveränität auf andere überträgt». Legt man diesen Maßstab an, dann war der Bund Francisme um Marcel Bucard mit seinen höchstens 10.000 Mitgliedern eine faschistische Gruppierung, desgleichen die noch kleinere Solidarité française, die wie der Francisme von dem Industriellen François Coty finanziell unterstützt wurde. Faschistisch im eben beschriebenen Sinn kann man auch den sehr viel erfolgreicheren, aber erst 1936 gegründeten Parti Populaire Français (PPF), die Partei des ehemaligen führenden kommunistischen Funktionärs Jacques Doriot, nennen, der im Juni 1934 von seiner Partei ausgeschlossen worden war, nachdem er als Bürgermeister von St. Denis eigenmächtig, einige Monate vor der Kehrtwende seiner Partei, eine antifaschistische Volksfront ins Leben gerufen hatte. Zu einer Massenbewegung großen Stils wurde aber auch der PPF nicht: Die demokratischen Traditionen in der politischen Kultur Frankreichs waren zu stark, als daß eine «entartete Form der Demokratie» sich hier auf ähnlich breiter Front wie in Italien oder Deutschland hätte durchsetzen können.
Wider Willen war es die eher «rechte» als «linke» Regierung Doumergue, die durch ihre Wirtschaftspolitik der radikalen Rechten (und, in gewissem Umfang, auch der Linken) neue Anhänger zuführte. Eine Deflationspolitik hatten auch schon die vorausgegangenen Kabinette betrieben, aber unter Doumergue wurden die Beamtengehälter und Pensionen nochmals massiv gekürzt, den Kriegsopferwitwen, wenn sie wieder verheiratet waren, die Renten gestrichen und durch all diese Maßnahmen die Konsumkraft der breiten Massen so geschwächt, daß zahlreiche Betriebe schließen mußten. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen, die 1926 bei 243.000 gelegen hatte, stieg 1935 auf über 453.000 und 1936 auf 864.000 an (was 8 Prozent der arbeitenden Bevölkerung entsprach). Es waren vor allem kleine Gewerbetreibende, die sich der antiparlamentarischen Rechten zuwandten, während unzufriedene Beamte eher der linken Opposition zuneigten.
Von den höheren Rüstungsausgaben, die von der Regierung Doumergue beschlossen wurden, profitierten nur Minderheiten der Unternehmer wie der Arbeiterschaft. Die Mehrausgaben überwogen die Einsparungen aber so stark, daß das Defizit im Staatshaushalt, das das Kabinett hatte senken wollen, weiter anstieg. Von einer Abwertung des Franc, die die Exporte belebt und das Steueraufkommen erhöht hätte, wollte die Regierung nichts wissen: Am Goldstandard festzuhalten erschien den Verantwortlichen als ein Gebot der nationalen Ehre.
Kein Erfolg war den Bemühungen um eine Verfassungsreform beschieden. Der Ministerpräsident erstrebte, beraten von André Tardieu und einer Kommission, der der konservative Politiker Paul Reynaud und der Staatspräsident der Jahre 1954 bis 1959, René Coty, angehörten, eine stärkere Stellung des Regierungschefs, die Beschränkung des Ausgabenbewilligungsrechtes des Parlaments, die Möglichkeit einer Auflösung der Kammer durch den Präsidenten der Republik auch ohne Billigung des Senats, die Erweiterung der Befugnisse des Nationalen Wirtschaftsrates und ein höheres Maß an richterlicher Unabhängigkeit. Das Vorhaben von Doumergue und Tardieu war mitnichten antiparlamentarisch, vielmehr richtete es sich weithin am britischen Modell einer funktionstüchtigen repräsentativen Demokratie aus. Nichtsdestoweniger wurde es nicht nur von den oppositionellen Sozialisten und Kommunisten, sondern auch von den meisten bürgerlichen Radikalsozialisten bekämpft. Die Linke aller Schattierungen vermochte in den Reformplänendes Ministerpräsidenten nur den Versuch einer autoritären Krisenlösung zu erkennen.
Die
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