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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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triumphierte: Durch massiven außerparlamentarischen Druck hatte sie eine Regierung zu Fall gebracht, der es soeben gelungen war, eine Mehrheit der Deputierten hinter sich zu bringen.
    Die Nachfolgeregierung, die am 9. Februar vom Präsidenten der Republik, Albert Lebrun, ernannt wurde, stand deutlich rechts von den sechs Kabinetten, die seit den Kammerwahlen vom Mai 1932 Frankreich regiert hatten. Ministerpräsident wurde der Staatspräsident der Jahre 1924 bis 1931, Gaston Doumergue, ein in die rechte Mitte gerückter Radikalsozialist. Außer dem Regierungschef selbst gehörten noch fünf weitere frühere Ministerpräsidenten dem Kabinett an: Außenminister Louis Barthou, Innenminister Albert Sarraut, Kolonialminister Pierre Laval und als Minister ohne Portefeuille Édouard Herriot und André Tardieu. Kriegsminister wurde Marschall Philippe Pétain, der Oberbefehlshaber von 1917/18. Das Ministerium für öffentliche Arbeiten übernahm ein Neosozialist, Adrien Marquet, das Gesundheitsministerium Louis Marin, der Vorsitzende der konservativen Union Républicaine Démocratique. Außer den Sozialisten und den Kommunisten sprachen alle Fraktionen, zusammen 402 Deputierte, der Regierung Doumergue das Vertrauen aus; die Zahl der Nein-Stimmen belief sich auf 125. Gestützt auf seine große Mehrheit, ließ sich das Kabinett von der Kammer Vollmachten bewilligen,die es ihm erlaubten, die Wirtschafts- und Finanzkrise mit Notverordnungen (décrets-lois) zu bekämpfen: ein Verfahren, das die Sozialisten, und wohl nicht nur sie, an die Politik eines Reichskanzlers der späten Weimarer Republik, Heinrich Brüning, erinnerte.
    Auf den Straßen der Hauptstadt kehrte nach dem 6. Februar so rasch nicht wieder Ruhe ein. Eine kommunistische Demonstration führte am 9. Februar zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen es mehrere Tote gab. Drei Tage später fand ein zunächst von der SFIO, dem sozialistischen Gewerkschaftsverband CGT und der Ligue pour les droits de l’homme ausgerufener, dann auch von den Kommunisten und ihrer Gewerkschaft, der CGTU, unterstützter Generalstreik statt, an dem die Arbeiter sich in großer Zahl beteiligten. Die Sozialistische und die Kommunistische Partei hatten getrennte Demonstrationen organisiert, die sich aber schließlich, unter dem Druck der Massen, zu einer einzigen vereinigten. Auf eine Überbrückung des tiefen Grabens zwischen Sozialisten und Kommunisten drängten in den folgenden Wochen vor allem linke Intellektuelle, die sich Anfang März unter Führung des sozialistischen Anthropologen Paul Rivet zu einem Comité de vigilance des intellectuels antifascistes zusammenschlossen.
    Daß die Kommunisten seit ihrer Parteikonferenz von Ivry im Juni 1934 von ihrem verbissenen Kampf gegen die Sozialisten abließen und für ein antifaschistisches Aktionsbündnis zunächst von Kommunisten und Sozialisten, dann, seit dem Herbst 1934, für eine breite «Volksfront» unter Einschluß fortschrittlicher Radicaux eintraten (den Begriff «Front populaire» benutzte Maurice Thorez, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, erstmals am 9. Oktober 1934), lag nicht am Engagement der linken Intelligenz, sondern an einem Kurswechsel der Kommunistischen Internationale, der seinerseits mit einer Änderung der französischen Außenpolitik zusammenhing: dem beharrlichen Bemühen von Außenminister Barthou um eine enge französisch-sowjetische Zusammenarbeit mit Stoßrichtung gegen das nationalsozialistische Deutschland. Der Parteisekretär der SFIO, Paul Faure, und der Fraktionsvorsitzende Léon Blum mißtrauten zunächst der plötzlichen Kehrtwende der Kommunisten, entschlossen sich dann aber Mitte Juli, die Chance zu einem Bündnis gegen den Faschismus zu nutzen. Am 27. Juli 1934 schlossen beide Parteien ein Abkommen, in dem sie sich zur Beendigung der wechselseitigenPolemik verpflichteten und zum gemeinsamen Kampf gegen die «Ligen» der nationalistischen Rechten und alle Erscheinungsarten von Faschismus sowie zur Abwehr der drohenden Kriegsgefahr bekannten.
    An der Gefahr, die in der Dritten Republik von rechts drohte, gab es seit dem 6. Februar 1934 nichts mehr zu deuteln. «Rechts» waren alle Organisationen, die an jenem Tag für einen starken, nicht mehr von der Legislative, sondern der Exekutive dominierten Staat demonstriert hatten. Aber der Begriff «faschistisch» trifft auf die wenigsten Ligen und anderen Vereinigungen der Rechten zu. Wenn einige von ihnen den politischen

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